Am Morgen machten sich alle drei auf, die einst blühende Handelsstadt Breslau mit ihren knapp 500'000 Einwohnern zu besichtigen. Breslau, berühmt für seine vielen Brücken beeindruckte alle. Auguste hatte noch nie so viele Brücken so nahe beieinander gesehen. Opa war vorallem beeindruckt, dass es so viele neue, moderne Gebäude gab und dass es schien, das ständig weitere gebaut wurden. Eine lebende Stadt, in der die Zeit trotzd des Niedergangs der Bedeutung des Handels, die Zeit nicht stehengeblieben war. Zu all dem schien die Sonne. Es war heiss, aber nicht schwül. Auguste trug ein kurzes, weitgeschwungenes Faltenröckchen, welches beim Gehen munter hin und her schwang. Sie war aufgeregt. Fast hüpfenden Schrittes bewegte sie sich auf der Strasse. Opa und Harry konnten ihr kaum folgen. Doch Auguste war viel zu ungeduldig, um auf den älteren Herrn rücksicht zu nehmen. Mehrmals mahnte sie ihren Opa, er solle doch etwas schneller gehen, denn schliesslich wollten sie noch vor dem Mittagessen bei dem Herrn Professor Schrader eintreffen. Der werte Herr Professor hatte auf das Telegram aus Berlin nicht geantwortet gehabt. Das heisst, entweder hatte er kein Interesse, oder er war so beschäftigt, dass ihr Telegram untergangen war. Auguste hoffte inbrünstig, dass letzteres zutreffen würde. Denn dann bestünde wenigstens eine klitzekleine Chance, dass er ihnen zumindest beim Übersetzten würde helfen können.
Zielstrebig marschierte die kleine Gruppe in Richtung der Universität. Dort erwarteten sie, Otto Schrader am ehesten anzutreffen. Während Auguste so vor sich hinträumte, rief Opa plötzlich, sie solle anhalten. Verwirrt schaute sie auf. "Was ist denn?! Wir müssen uns doch beeilen!" stiess sie hervor. Opa schaute sich mehrmals um. "Harry ist nicht mehr bei uns. Wir haben ihn wohl verloren. Mit unseren langen Beinen sind wir wohl etwas zu schnell für ihn gelaufen." Oh nein! schoss es Auguste durch den Kopf. Dass Harry auch ausgerechnet jetzt verloren gehen musste. Also hiess es nochmals zurück zu gehen und zu schauen, wo er stecken könnte. Wie sollten sie ihn in dieser riesigen Stadt nur finden? Er konnte überall sein. Als sie Harry nach einer halben Stunde immer noch nicht gefunden hatten, war Auguste verzweifelt. Was sollten sie denn jetzt machen? Opa nahm das ganz viel gelassener und schlug vor, im nächsten Kaffe ein wenig die Sonne zu geniessen und einen Snack einzunehmen. Was er wusste, Auguste aber nicht, war, dass Harry eine Art Sensor an Augustes Schuhen befestigt hatte. Dieser Sensor ermöglichte es ihm, Auguste immer und überall wiederzufinden. Opa wusste davon, da er sich mit Harry darüber unterhalten hatte. Auguste hatte den Sensor noch nicht bemerkt. Das wusste allerdings Opa nicht, weshalb er ihn nicht erwähnte, da er annahm, dass Auguste davon wusste. Eine vertrackste Angelegenheit. Doch zumindest schmeckten die heisse Schokolade und der Pfannkuchen mit Marmelade vorzüglich, welchen sie im Kaffe am Ring bestellten. Auguste beruhigte sich langsam und es gelang ihr entspannt in der Sonne zu sitzen und über den Vorplatz zu schauen. Es kam ihr vor, als wäre vor ihrer Nase ein Theater inszeniert worden. Marktfrauen eilten mit gefüllten Körben vorbei. Kutschen mit ungeduldigen Kutschern und bockigen Pferden rollten vorüber. Kinder spielten mit einem Ball. Unter einem Baum sass ein älterer Mann mit seinem Enkelkind und über ihm zwitscherten die Vögel. Das ganze gab ein friedliches, ja fast romantisches Schauspiel ab. Doch irgendwie fehlte ein wenig Abwechslung darin. Die ganze Szenerie schien auf ein Ereigniss vorbereitet zu sein, welches aber auf sich warten liess. Für den Zuschauer stieg die Spannung, da er nicht wusste, was geschehen würde, während die Beteiligten ohne nachzudenken ihren täglichen Routinen nachkamen.
So hatte Auguste noch nie einen belebten Platz beobachtet. Sie teilte Opa ihre Gedanken mit. Zu ihrer Überraschung war er gar nicht erstaunt. Er fügte nur an: "Ja ja Augustchen, da hast du wieder einmal etwas gelernt. Die Welt ist eine riesige Bühne und wir sind Schauspieler darauf." Augustchen konnte den Sinn dieser Aussage nicht ganz verstehen, aber es war ihr auch egal. Denn plötzlich änderte sich etwas in den sich immer wiederholenden Bewegungen auf dem Platz. Die Kinder schrien, die Marktfrauen stoben auseinander und die Pferde flohen mit einem Angstverzerrten Wiehern. Gebannt schauten Opa und Auguste auf die Strassenecke, auf die auch alle andern starrten. Die Spannung in der Luft war förmlich spürbar. Es würde nicht mehr viel benötigen und es gäbe eine riesige Explosion. So geladen war die Luft. Auguste hielt den Atem an. Sie zählte leise vor sich hin. Eins, zwei, drei, vier, fünf.... und da, plötzlich, lugte ein kleines graues etwas um die Ecke, dass von Sekunde zu Sekunde grösser wurde. Gemächlich und Majestätisch schritt ein Elefantenweibchen auf den Platz. Auguste klappte die Kinnlade herunter. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem Elefanten. Der war wohl aus dem Zirkus ausgebrochen, welcher zurzeit gerade in der Stadt weilte. Sie wollte schon ängstlich zurückweichen, da man ja nie wusste, zu was solch riesige Tiere fähig waren, als sie auf dem Hals des Elefanten etwas gewahrte. War das nicht? Ja genau, da oben sass Harry und plauderte gemütlich mit dem Elefanten. Der Elefant steurte genau auf das Kaffe zu. Der Elefant kam sie abholen!!! Auguste freute sich. Sie hatte schon immer mal auf einem Elefanten reiten wollen. Sie hatte in der Schule gelernt, dass in Indien die Menschen auf den Elefanten reiten würden. Indien war weit weg und daher hatte sie nicht gedacht, dass sie je die Möglichkeit dazu haben würde. Aber Harry sei Dank, bekam sie nun diese Chance.
Als der Elefant beim Kaffe anhielt, lugten von überall Augen um Häuserecken und unter Tischen hervor. Ausser Auguste und Opa waren alle geflohen. Nun beobachten die Menschen gespannte, was der Elefant vorhatte. Auguste trat auf ihn zu. Und jetzt? Wie sollte sie denn aufsteigen? Und wie sollte Opa erst auf so einen hohen Elefant kommen? Um die Zeit zu überbrücken tätschelte sie den Elefanten am Rüssel. Doch Harry bemerkte das Problem und steuerte den Elefanten quer zu einem Tisch. So konnten Opa und Auguste bequem vom Tisch aus hinaufklettern. Opa hatte etwas Schwierigkeiten, aber mit Harrys und Augustes Hilfe schaffte auch er es hinauf.
Auguste staunte Harry an. Sie hatte so viele Fragen und wusste gar nicht, welche sie zuerst stellen sollte. Harry erkannte, was ihr auf der Zunge lag und fasste alles kurz zusammen. Er hatte gedacht, dass sie wohl keinen grossen Erfolg hätten, wenn sie einfach beim Professor vorbeischauen würden. Wieso sollte e ihnen Zeit widmen? Sie seien niemand wichtiges. Und so ein wichtiger und vielbeschäftigter Mann könne sich doch nicht Zeit für jedes dahergelaufene Mädchen vom Land nehmen. Also musste man einen guten Auftritt inszenieren, um vom Professor als interessant eingestuft zu werden. Dafür war Harry weggelaufen. Er konnte mit Elefanten reden und das nütze er aus und überredete Tara, die Elefantin des Zirkusses, mit ihm mitzukommen.
Gesagt getan. Gefolgt von hunderten von Schaulustigen machten sie sich auf zur Universität. Der Zug wurde immer länger. Als sie bei der Universität ankamen hatten sie eine ganze Prozession hinter sich. Die Professoren und Studenten schauten zum Fenster heraus um herauszufinden, was da draussen vor sich ging. Sie staunten nicht schlecht, als sie die Menschenmassen und den grauen Elefanten sahen. Und auf dem Elefant sass ein kleines Mädchen und ein alter Mann. Was diese beiden wohl vorhatten? Sofort fragte man sie nach ihrem Ziel. Und als Auguste sagte, sie seien von weit her angereist, um mit Professor Schrader zu sprechen, so kam dieser sogleich herbeigeeilt. Er hatte weisse Haare und einen kurzen Bart. Seiner Gangart sah man sein Alter an. Er ging etwas gebückt. Aber das nahm nichts von der Würde, die er ausstrahlte. Er wirkte so weise, dass man ihm wohl alles geglaubt hätte.
Harry wartete draussen und kümmerte sich um Tara, während Opa und Auguste dem Herrn Professor ins Gebäude folgten. Harry hatte alle Hände voll zu tun, denn es drängten sich immer mehr Schaulustige um Tara. Doch da sie glaubten, Tara stehe alleine dort, hielten sie zum Glück genügend Sicherheitsabstand ein.
Dienstag, 14. Oktober 2008
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