Montag, 30. Juni 2008

Kapitel 11: Die Reise beginnt

Einige Tage später war es dann soweit. Am frühen morgen verliessen Auguste und Opa zusammen mit den grossen Schwestern, der Mutter und dem Vater und natürlich dem Kutscher den Hof. Der Vater hatte die grosse Sonntagskutsche vorspannen lassen. Schliesslich reiste seine Tochter ja nicht jeden Tag in die Ferne. Schon von weitem erkannte Auguste die Kirchentürme von Lyck/ Elk. Je näher sie dem Städtchen kamen, desto aufgeregter wurde sie. Das erste Mal in ihrem Leben käme sie in eine Stadt. Doch viel würde sie nicht davon sehen. Denn ihr Ziel war der Bahnhof. Als sie dort angekommen waren, wurden die zwei Koffer von Auguste und Opa abgeladen, ein Proviantkorb wurde herunter gereicht und dann begann man sich zu verabschieden. Damals war eine weite Reise nichts ungefährliches. Man wusste nie, ob man heil zurückkommen würde. Alle drückten und umarmten sich und es flossen sogar Tränen. Auguste war es mulmig zumute. Sie war aufgeregt, doch sie hatte auch Angst und fühlte sich traurig. Was würde auf sie zukommen?

Viel Zeit zum überlegen blieb ihr nicht. Schon bald fuhr der Zug mit viel Getöse und Gequitsche in den Bahnhof ein. Opa und Auguste bestiegen den Zug. Opa hatte zwei Fensterplätze für sie reserviert, so könnten sie bis zur Abfahrt des Zuges noch mit den Daheimbleibenden sprechen. Und dann kam das Signal. Mit einem Ruck setzte sich der Zug in Bewegung, begann zu pfeiffen und stiess Dampf aus. Opa und Auguste winkten aus Leibeskräften. Sie winkten auch noch, als sie die am Bahnhofstehenden schon lange nicht mehr sehen konnten. Auch der Opa war etwas nervös und besorgt. In seinem hohen Alter war es nicht sicher, dass er die lange Reise auch wieder zurück schaffen würde. Konnte es sein, dass er seinen Hof, auf dem er aufgewachsen war zum Letzten Mal gesehen hatte? Aber bekümmert war er nicht, denn er erfüllte sich gerade einen Kindheitstraum. Er hatte schon immer einmal davon geträumt in den Westen nach Berlin zu fahren. Dort vielleicht eines der berühmten Schlösser zu besichtigen. Und vielleicht auch tanzen zu gehen oder an allerlei anderen Verlustigungen teilzunehmen. In den Zoo wollte er auch einmal. Immer hatte er davon geträumt Löwen und Elefanten in Wirklichkeit zu sehen. Aber das war ihm bis jetzt nicht vergönnt gewesen. Nun wollte er alles nachholen.

Während Opa seinen Gedanken nachhing, studierte auch Auguste herum. Am Schluss war alles so schnell gegangen. Da sie noch die Kleider hatte fertig nähen müssen, hatte sie gar keine Zeit mehr gefunden, um Olaf ihre Pläne zu erklären. Sie hoffte nun inständig, dass Olaf noch da sein würde, wenn sie von Berlin zurückkäme und seine Sprache verstehen würde. Was würde sie machen, wenn er weitergezogen sein würde? Dann währe ihr ganzes Unterfangen umsonst gewesen. Nachdenklich überlegte sie und kam dann zum Schluss, dass ihre Reise ganz sicher nicht umsonst sein würde, da sie ja so viel erleben würde und all die Erlebnisse bis zu ihrem Lebensende im Herzen tragen könnte. Vielleicht hätten sie auch genug Geld und sie könnte sich eine von den bunten Ansichtskarten kaufen und als Andenken mitnehmen.

Sowohl Opa, als auch Auguste hingen ihren Gedanken nach und merkten gar nicht, wie die Landschaft an ihnen vorbeizog. Langsam begann sie sich zu verändern. Die Seen und Wälder wurden weniger, das Land wurde flacher. Erst einige Stunden später, als der Fahrkartenkontrolleur kam, schreckten beide auf. Als der Kontrolleur wieder gegangen war, beschlossen sie, einmal in den Proviantkorb zu schauen. Und was für ein toller Anblick ergab sich da. Die Mutter hatte an alles gedacht. Im Korb befand sich Wasser und Johanisbeerwein, Äpfel, Hasenbrote (Belegte Brote), ein wenig Schinken, Würste, ein Leib Brot und einige Karotten. Hungern würden sie nicht müssen. Begeistert machten sich die beiden über das Essen her. Sie begannen zu plaudern und ohne dass sie sich versehen hatten, brach die Nacht herein. Wie lange die Reise gedauert hatte, konnte Auguste nachher nicht mehr sagen. Aber sie kamen auf jeden Fall in Allenstein/ Olsztyn an. Der Opa hatte nahe des Bahnhofs in einem Gasthof ein Zimmer reservieren lassen. Dieses bezogen sie nun, um zu schlafen. Doch Auguste war viel zu aufgeregt. Morgen würden sie Allenstein besichtigen. Der Opa hatte extra einen ganzen Tag Aufenthalt eingeplant um die Distrikthauptstadt anzuschauen. Auguste würde das erste Mal in einem Restaurant essen und durch Strassen gehen, dessen Häuser mehrere Stockwerke hatten. Im Bett liegend malte sie sich all die Schönheiten aus, die sie morgen zu Gesicht bekommen hatte. Denn der Lehrer hatte ihr zuhause viel davon erzählt.

Sonntag, 15. Juni 2008

Kapitel 10: die Mutter entscheidet

Als die Mutter von der Magd den Zettel erhielt, verstand sie zunächst gar nichts. Da sie von der Kreativität ihrer jüngsten Tochter überzeugt war, dachte sie zuerst, dass Auguste sich wohl eine Art Geheimsprache ausgedacht habe. Nach genauerem Hinschauen auf Anraten der Magd, merkte sie allerdings, dass die Nachricht nicht in Augustes Schrift geschrieben war. Sie wusste nicht gleich, was sie damit anfangen sollte und bedeutete der Magd, dass diese zurück zur Arbeit gehen könne und sie sich persönlich um die Angelegenheit kümmern werde. Sie schien ihr allerdings nicht prioritär und so kehrte sie, nach dem die Magd sie verlassen hatte, zu ihrere vorherigen Beschäftigung zurück.

Unterdessen war Auguste wieder die Botschaft von Olaf in den Sinn gekommen und sie wollte sie Opa zeigen. Doch erschreckt stellte sie fest, dass sich der Zettel nicht mehr in ihrer Jacke befand. bestürzt eilte sie zu Opa. "Opa! Opa!" schrie sie, während sie durch das ganze Haus rannte. Nach bangen fünf Minuten fand sie ihn in seinem Zimmer. Verwundert schaute er auf. "Nanu? Was ist den mit dir los?" fragte er völlig überrascht. Auguste verschwendete keine Sekunde und erzählte ihm sofort von der Begegnung mit Olaf und der geheimen Botschaft. Opa runzelte die Stirn und erkundigte sich, ob Auguste sich noch in etwa erinnern könnne, was auf dem Zettel stand. Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. Sie hatte den Zettel einfach eingesteckt, und wollte ihn später genauer anschauen. Der Opa bedauerte diesen Zwischenfall, er schien ihm aber nicht weiter wichtig. Denn nun wechselte er das Thema. Er war am Vormittag in der Stadt gewesen und hatte zwei Fahrkarten bis nach Berlin gekauft. Unterkünfte hatte er leider nicht buchen können, aber er sei zuversichtlich, dass sich unterwegs etwas finden liesse. Auguste vergass den Kummer über den Zettel und strahlte bis über beide Ohren. Was für eine freudige Nachricht! Nun würde ihrer Reise nach Berlin wohl nichts mehr im Weg stehen! Fast euphorisch rannte sie die Treppe hinunter, um mit der Mutter die Reisevorbereitungen zu besprechen. Denn die Mutter musste ihr bei der Auswahl der geeigneten Kleider für einen Grossstadtbesuch helfen. Um ehrlich zu sein, eigentlich hatte sie gar keine Stadttauglichen Kleider. Aber mit Hilfe der Nähmaschine liessen sich wohl einige gute Kleider der älteren Schwestern zurecht machen und sie hätte ihre erste Garderobe! Auch diese Tatsache versetzte Auguste in grosse Freude. Bisweilen hatte sie sich mit einem Sonntagskleid begnügen müssen. Jetzt würde sie plötzlich mehrere haben, um sich schön zu machen. Ob sie Opa so herausgeputz gefallen würde?

Als sie aufgeregt in das Zimmer der Mutter stürmte, merkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Mutter sass mit ernster Miene am Tisch und nähte an einem alten Sonntagskleid von Otthilie. Als ihre jüngste Tochter das Zimmer betrat, drehte sie sich um und schaute sie misstrauisch an. Nach einer kurzen Weile, die Auguste wie eine Ewigkeit schien, fragte sie: "Möchtest du mir etwas erzählen Augustchen?" Auguste war etwas verwundert, denn sie wollte der Mutter jede Menge erzählen. Allerdings schien die Mutter etwas ganz bestimmtes zu erwarten. Was sie der Mutter wohl erzählen sollte? Vorsichtshalber antwortete sie einmal mit Nein, was ein heftiges Räuspern der Mutter zur Folge hatte. "Und was bittte schön ist das hier?!" fragte die Mutter und hielt ihr Olafs Zettel vor die Nase.

Auguste wurde nervös. Was sollte sie darauf antworten? Sie konnte unmöglich die Antwort sagen, oder wäre es wohl doch die beste Lösung? Fieberhaft überlegte sie. Der Mutter dauerte es zu lange. "Aha, ich sehe, du antwortest nicht. Also hatte die Magd doch recht damit, dass du unrechte Dinge treibst! Aber das lasse ich nicht zu. Wir sind ein anständiges Haus und unsere Töchter haben sich anständig zu benehmen. Unter diesen Umständen ist es wohl nicht ratsam, dich mit Opa nach Berlin fahren zu lassen." Und nun brach alles aus Auguste heraus. Sie hatte sich so gefreut und diese Strafe traf sie wie ein Siegestor der Gegenmanschaft 3 Sekunden vor dem Schlusspfiff. Auguste liess sich gehen und heulte herzzereissend. Durch das laute Geschluchze angelockt, streckte Opa seinen Kopf durch die Tür und erkundigte sich, was denn los sei.

Die Mutter zeigte ihm den Zettel und meine, dass Auguste ihr nicht sagen wolle, was das sei und sie deshalb beschlossen habe, dass Auguste nicht nach Berlin fahren sollte. Opa wusste sofort, um was für einen Zettel es sich handelte. Er war froh, dass Auguste nichts gesagt hatte. Aber nun musste er die Reise für Auguste irgendwie retten. Sein erstes Argument war, dass er die Tickets bereits gekauft hatte. Dies schien die Mutter nicht zu beeindrucken. Sie meinte sogar, dass er stattdessen eine Magd als Begleitung mitnehmen könne. Doch dagegen wehrte sich der Opa standhaft. Nach einer langen Diskussion willigte die Mutter endlich ein, dass Auguste doch mitgehen dürfe, wenn sie als Strafe für ihre unanständigen Spielereien ihre ganze Garderobe selbst zusammestellte und nähte. Damit waren alle drei zufrieden und Auguste begann noch vor dem Abendessen mit dem Nähen.