Einige Tage später war es dann soweit. Am frühen morgen verliessen Auguste und Opa zusammen mit den grossen Schwestern, der Mutter und dem Vater und natürlich dem Kutscher den Hof. Der Vater hatte die grosse Sonntagskutsche vorspannen lassen. Schliesslich reiste seine Tochter ja nicht jeden Tag in die Ferne. Schon von weitem erkannte Auguste die Kirchentürme von Lyck/ Elk. Je näher sie dem Städtchen kamen, desto aufgeregter wurde sie. Das erste Mal in ihrem Leben käme sie in eine Stadt. Doch viel würde sie nicht davon sehen. Denn ihr Ziel war der Bahnhof. Als sie dort angekommen waren, wurden die zwei Koffer von Auguste und Opa abgeladen, ein Proviantkorb wurde herunter gereicht und dann begann man sich zu verabschieden. Damals war eine weite Reise nichts ungefährliches. Man wusste nie, ob man heil zurückkommen würde. Alle drückten und umarmten sich und es flossen sogar Tränen. Auguste war es mulmig zumute. Sie war aufgeregt, doch sie hatte auch Angst und fühlte sich traurig. Was würde auf sie zukommen?
Viel Zeit zum überlegen blieb ihr nicht. Schon bald fuhr der Zug mit viel Getöse und Gequitsche in den Bahnhof ein. Opa und Auguste bestiegen den Zug. Opa hatte zwei Fensterplätze für sie reserviert, so könnten sie bis zur Abfahrt des Zuges noch mit den Daheimbleibenden sprechen. Und dann kam das Signal. Mit einem Ruck setzte sich der Zug in Bewegung, begann zu pfeiffen und stiess Dampf aus. Opa und Auguste winkten aus Leibeskräften. Sie winkten auch noch, als sie die am Bahnhofstehenden schon lange nicht mehr sehen konnten. Auch der Opa war etwas nervös und besorgt. In seinem hohen Alter war es nicht sicher, dass er die lange Reise auch wieder zurück schaffen würde. Konnte es sein, dass er seinen Hof, auf dem er aufgewachsen war zum Letzten Mal gesehen hatte? Aber bekümmert war er nicht, denn er erfüllte sich gerade einen Kindheitstraum. Er hatte schon immer einmal davon geträumt in den Westen nach Berlin zu fahren. Dort vielleicht eines der berühmten Schlösser zu besichtigen. Und vielleicht auch tanzen zu gehen oder an allerlei anderen Verlustigungen teilzunehmen. In den Zoo wollte er auch einmal. Immer hatte er davon geträumt Löwen und Elefanten in Wirklichkeit zu sehen. Aber das war ihm bis jetzt nicht vergönnt gewesen. Nun wollte er alles nachholen.
Während Opa seinen Gedanken nachhing, studierte auch Auguste herum. Am Schluss war alles so schnell gegangen. Da sie noch die Kleider hatte fertig nähen müssen, hatte sie gar keine Zeit mehr gefunden, um Olaf ihre Pläne zu erklären. Sie hoffte nun inständig, dass Olaf noch da sein würde, wenn sie von Berlin zurückkäme und seine Sprache verstehen würde. Was würde sie machen, wenn er weitergezogen sein würde? Dann währe ihr ganzes Unterfangen umsonst gewesen. Nachdenklich überlegte sie und kam dann zum Schluss, dass ihre Reise ganz sicher nicht umsonst sein würde, da sie ja so viel erleben würde und all die Erlebnisse bis zu ihrem Lebensende im Herzen tragen könnte. Vielleicht hätten sie auch genug Geld und sie könnte sich eine von den bunten Ansichtskarten kaufen und als Andenken mitnehmen.
Sowohl Opa, als auch Auguste hingen ihren Gedanken nach und merkten gar nicht, wie die Landschaft an ihnen vorbeizog. Langsam begann sie sich zu verändern. Die Seen und Wälder wurden weniger, das Land wurde flacher. Erst einige Stunden später, als der Fahrkartenkontrolleur kam, schreckten beide auf. Als der Kontrolleur wieder gegangen war, beschlossen sie, einmal in den Proviantkorb zu schauen. Und was für ein toller Anblick ergab sich da. Die Mutter hatte an alles gedacht. Im Korb befand sich Wasser und Johanisbeerwein, Äpfel, Hasenbrote (Belegte Brote), ein wenig Schinken, Würste, ein Leib Brot und einige Karotten. Hungern würden sie nicht müssen. Begeistert machten sich die beiden über das Essen her. Sie begannen zu plaudern und ohne dass sie sich versehen hatten, brach die Nacht herein. Wie lange die Reise gedauert hatte, konnte Auguste nachher nicht mehr sagen. Aber sie kamen auf jeden Fall in Allenstein/ Olsztyn an. Der Opa hatte nahe des Bahnhofs in einem Gasthof ein Zimmer reservieren lassen. Dieses bezogen sie nun, um zu schlafen. Doch Auguste war viel zu aufgeregt. Morgen würden sie Allenstein besichtigen. Der Opa hatte extra einen ganzen Tag Aufenthalt eingeplant um die Distrikthauptstadt anzuschauen. Auguste würde das erste Mal in einem Restaurant essen und durch Strassen gehen, dessen Häuser mehrere Stockwerke hatten. Im Bett liegend malte sie sich all die Schönheiten aus, die sie morgen zu Gesicht bekommen hatte. Denn der Lehrer hatte ihr zuhause viel davon erzählt.
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1 Kommentar:
Immer besser!
Ich habe drei Bilder in meinen Gedanken: Auguste in ihrem Schlafzimmer, Auguste und Opa mit dem kleinen Männlein und die Familie am Bahnhof. Ich versuche, sie zu zeichnen...
Gestern habe ich das erste Bild in diesem Sommer begonnen. Es schildert die alte Kirche von Petäjävesi (Objekt von UNESCO). Nicht zu viele Linien! Alles soll nicht gezeichnet werden (bitte mein Blog "www.travellingwitheyes.blogspot.com gucken).
An der Ende von Juli wird wieder dir Kunstvorstellung in Vaajakoski geöffnet. Ich habe zwei Bilder (mit Farben) schon fertig, und das dritte soll das Bild von Kirche sein. Soll es Farbe haben, oder schwarzweiss...weiss nicht heute. Wenn das Tintenbild fertig ist, werde ich ein Foto nehmen und ins Blog senden.
Ich warte weitere Kapiteln von deiner Geschichte!
Gruesse,
Juha
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