Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Draussen war es noch dunkel, doch durch das Donnern und die Blitze des starken Gewitters, welches über Berlin durchzog, war Auguste schon hellwach. Sie hatte keine Uhr und wusste nicht wie spät es war. Da es jedoch noch so dunkel war, beschloss sie, anzunehmen, dass es noch nacht sein musste und wollte wieder einschlafen. Doch das gelang ihr nicht. Warum auch immer, sie konnte es sich nicht erklären, aber plötzlich war sie hell wach. War da nicht ein Geräusch in der Ecke gewesen? Es war viel zu dunkel im Zimmer, als dass sie etwas hätte erkennen können. Doch nun konzentrierte sich ihre ganze Aufmerksamkeit auf die hintere Ecke, dort wo der grosse Schrank stand. Auguste bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn dort jemand war? Ein Einbrecher vielleicht? Gestern abend hatte sie das Fenster offen gelassen, da es so schwül gewesen war. Es wäre ein leichtes für jemanden gewesen in der Nacht durch das Fenster einzusteigen, ohne dass irgendjemand im Haus es gemerkt hätte. Vielleicht war es ein Mörder? Hier war sie ja in Berlin. Bei sich in der warmen Stube hatte sie an langen Winterabenden schon manche grausigen Geschichten von der Grossstadt gehört. Und sie war so farlässig gewesen und hatte einfach wie zuhause auf dem Dorf das Fenster aufgelassen.
- Rums- abrupt stoppten Augustes Gedanken, ihr Herz setzte für einen Schlag aus und sie hielt die Luft an. Mit lautem gepolter waren einige Bücher vom Bücherregal gefallen, welches gegenüber des grossen Schrankes stand. Vergeblich versuchte sie in der Dunkelheit etwas zu erspähen oder gar zu erahnen. Doch sie hörte nur ein leises rascheln und kurz darauf schienen die Bücher wieder auf dem Gestell plaziert worden zu sein.
Auguste hielt es nicht mehr aus. Mit zittrigen Händen tastete sie sich auf dem Nachtisch entlang um mit einem Streichholz die Bettkerze anzuzünden. Vor lauter Aufregung dauerte es viel zu lange. Sie vernahm erneut ein Rascheln, diesmal aber viel näher bei ihrem Bett. Auguste brachte ihre ganze Willensstärke auf, um nicht laut aufzuschreien. Denn schliesslich war sie zu Besuch in einem fremden Haus und konnte doch nicht alle aufwecken, ohne dass vielleicht ein Grund dafür bestand. Wenn sie Licht hätte und sehen würde, was ihr so einen Schrecken versetzt hatte, wäre im Notfall immer noch genügend Zeit um zu schrein.
Endlich hatte sie es geschafft die kleine Flamme in gang zu bringen. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Licht und sie späte im Zimmer herum. "Ah!" stiess sie einen kurzen Schrei hervor, schlug sich aber zugleich mit der Hand vor den Mund. Vor ihr stand ein kleines Wesen mit einer roten Zipfelmütze. Es hatte eine menschliche Gestalt, doch war nur gerade so gross wie ihr Fuss. Was auch immer das sein mochte, böse sah dieses Wesen nicht aus. Es erinnerte sie an die Erzählungen von Heinzelmännchen, welche sie zuhause oft gehört hatte.
Nachdem sich die beiden etwa 2 Minuten ohne etwas zusagen und beide zu Tode erschreckt angeschaut hatten, wagte Auguste den Versuch, das Wesen ihr gegenüber anzusprechen. "Wer bist Du den?" -"Das gleiche könnte ich Dich fragen!" antwortet der Wichtel. Als ich vor einer Woche in die Ferien fuhr, war diese Zimmer noch leer. Und nun liegt plötzlich ein fremdes Mädchen in diesem Bett. Das Zimmer wurde seit mindestens 10 Jahren nicht mehr benutzt. Es war das Zimmer meiner Herrin, doch als sie starb, räumte man ihre persönlichen Sachen weg und liess es einfach sein. Ab und zu kam die Putzfrau und machte sauber, aber sonst kam hier nie jemand herein."- "Deine Herrin?" fragte Auguste verwundert? "Meine Herrin war die Mutter der jetztigen Hausherrin. Sie hatte ein gutes Herz und gab mir Arbeit, da ich sonst nicht gewusst hätte, wo ich hin sollt." - "Weiss jemand dass Du noch hier bist?" fragte Auguste. Der Wichtel verneinte. Ja er erklärte sogar, dass ihn ausser seiner Herrin noch kein Bewohner dieses Hauses jemals zu Gesicht bekommen hatte. Sie sei die erste. Und sie könne ihn auch nur sehen, weil sie eine Besondere Gabe habe. Die meisten Menschen würden ihn nicht sehen können, auch wenn er direkt vor ihnen stünde.
So unterhielten sich Auguste und der Wichtel eine Weile und schliesslich stellten sie sich auch einander vor. Es stellte sich heraus, dass die Vorfahren des Wichtels, welcher übrigens Harry hiess, schon seit Jahrhunderten an diesem Ort gewohnt hatten. Dann waren Menschen gekommen, hatten Häuser gebaut und viele Wichtel verdrängt. Die cleveren hatten sich Arbeit bei den Menschen gesucht, doch dass wurde immer schwieriger, da die Menschen mit der Zeit die Fähigkeit verloren, die Wichtel wahrzunehmen. So hatten viele Wichtel angefangen, sich ein Leben zwischen den Menschen einzurichten. Er erzählte Auguste auch, dass er viele Freunde hatte. In Berlin wohne in fast jedem Haus ein Wichtel. Doch die Bewohner glaubten heute nicht mehr an die Existenz von Wichteln und so merke niemand etwas von ihrer Existenz.
Auguste war begeistert. Sie hätte nie erwartet in Berlin auf Wichtel zu treffen. Bis vor weniger als einer Stunde hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass Wichtel existierten. Und da kam ihr plötzlich der Gedanke, dass Olaf vielleicht gar kein Troll sei, sondern ein grosser Wichtel. Sofort sprach sie die Idee aus. Doch Harry meinte, dass Olaf nach ihrer Beschreibung sicher kein Wichtel sei. Mit einer geheimnisvollen Mine fügte er hinzu, dass es auf dieser Welt noch vieles für ein Mädchen mit dieser speziellen Gabe, wie Auguste sie offensichtlich besass, zu entdecken gäbe. "Die Welt ist nicht ganz so einfach und linear, wie sie von Menschen oft dargestellt wird." Neben den Menschen, Tieren, Bäumen und Pflanzen leben nach Heerscharen von anderen Lebewesen, die in der Welt der Menschen als Mythen abgetan werden. Wenn Du Deine Augen offen hällst Augustchen, wirst Du viele Freunde finden können, aber auch einige Feinde. Also sei auf der Hut! Es gibt nette und böse Wesen, und es ist nicht immer ganz einfach zu unterscheiden."
Sie plauderten und plauderten. Plötzlich wurde Harry nervös, sprang unters Bett und wurde unsichtbar. Im selben Augenblick ging die Tür auf und Maria kam zur Tür herein.
"Guten Morgen Augustchen, wollen wir frühstücken und dann zum Postamt gehen und sehen, ob ein Telegramm gekommen is?"
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1 Kommentar:
Um alles in dieser Welt zu sehen können, sollen wir scharfe Augen zu haben. Und auch einen klugen Kopf, alles zu verstehen. Und eine junge Seele, die nicht "nein, das ist unmöglich" sagt.
Was bedeutet: Solche Leute wie Auguste brauchen wir wirklich mehr!
- Gruesse, Juha
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