Sonntag, 10. August 2008

Kapitel 16: smaragdgrüner Samt

Die Sonne blinzelte mit ihren ersten Strahlen durch die Scheibe, genau auf das Kopfkissen von Auguste. Wenige Augenblicke nur brauchte sie um aufzuwachen. Und sofort waren ihre Gedanken klar. Heute, heute! Ja heute würde sich vielleicht ihr Leben ändern. "Opa!" rief sie ungeduldig zum anderen Bett hinüber. Doch Opa rührte sich nicht. Auguste wurde ungeduldig. Wie konnte es sein, dass Opa diesen wichtigen Tag verschlafen konnte? Etwas lauter und energischer rief sie noch einmal: "Opa, Opa wach auf! Die Sonne scheint schon!" Doch Opa schien sie immer noch nicht zu hören. Also sprang Auguste mit einem Satz aus dem Bett und war auch schon an Opas Seite. Vorsichtig schüttelte sie ihn. Doch was war das? Er reagierte überhaupt nicht! Oh nein! Was war mit Opa?! Er konnte sie doch jetzt nicht alleine lassen! Er war schon alt, ja, das hatte sie gewusst, als sie die Reise angetreten hatten. Doch er durfte nun auf keinen Fall sterben. Nicht so kurz vor der Lösung ihres Geheimnisses! Verzweifelt versuchte sie Opa wach zu schütteln. Doch es half nichts. Sie eilte hinunter zur Rezeption. Dort bestellte man sofort einen Artzt. Auguste lief zurück zu Opa. Ganz schwach konnte sie seinen Atem wahrnehmen! Erleichtert setzte sie sich neben ihn. Er war nicht tot! Zumindest noch nicht! Hoffentlich würde dieser Arzt bald kommen! Die Sekunden verstrichen wie Stunden. Auguste hilet Opas Hand gedrückt. Sie wollte ihm von sich aus Kraft übermitteln. Etwas anderes konnte sie sowieso nicht tun.
Endlich, nach etwa einer halben Stunde, die Auguste wie eine Ewigkeit erschienen war, betrat der Arzt mit ernster Miene das Zimmer. "Na dann wollen wir mal schauen, was der alte Herr hat." meinte er nüchtern. Er schickte Auguste aus dem Zimmer. Doch diese wich keinen Millimeter von ihrem Opa. Schliesslich gab der Arzt mit einem Schulterzucken auf und begann mit der Untersuchung, obwohl ihn dieses aufdringliche Mädchen störte. Kinder gehörten nun einmal nicht zu einer ärztlichen Untersuchung.
Neugierig und aufmerksam beobachtete Auguste alles was der Arzt tat. Er schien überhaupt nicht besorgt, was auf Auguste sehr beruhigend wirkte. Nach wenigen Minuten kam er zum Schluss, dass dieser alte Herr nicht bei Bewusstsein sei und ins Krankenhaus müsse, denn er könne nicht viel tun. Und selbst wenn er den Herrn wieder zu Bewusstsein bringen würde, bedürfe er ärztlicher Überwachung. Er bestellte bei der Rezeption zwei Sanitäter mit eine Bahre und so wurde Opa in das nächstgelegene Hospital gebracht. Dicht gefolgt von Auguste. Denn schliesslich wollte sie wissen, wo ihr Opa sein würde, wenn sie ihn brauchte. Im Krankenhaus setzte sie sich auf die Bettkante und beobachtet wieder interessiert die Schwestern und den Arzt, die verschiedene Dinge unternahmen um Opa aufzuwecken. Es war schon beinahe Zeit für das Mittagessen, als Opa endlich wieder zu sich kam. Erleichtert erzählte Auguste dem etwas verwirrten Opa, was geschehen war. Der Arzt hatte gesagt, dass Opa mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben müsse. Bei der Gelegenheit könne man sich gleich seinem Augenleiden annehmen. Das koste allerdings einiges. Opa war bestürzt. Dieser Krankenhausaufenthalt war nicht in seinem Budget eingerechnet gewesen. Er konnte sich nicht Hotel und Krankenhaus leisten. Also beschlossen sie, dass Auguste zu ihm ins Krankenhaus ziehen sollte und dass sie des Nachts, wenn die Schwestern nicht mehr ständig zur Kontrolle kämen, das Bett teilen würden. Somit könnten sie die Hotelkosten sparen.
Auguste fand das gar keine schlechte Idee, denn sie hatte überhaupt keine Lust gehabt, alleine zurück in das Hotel zu gehen. Ein letztes Mal würde sie das nun tun müssen. Sofort machte sie sich auf den Weg. An der Rezeption meldete sie sich ab, bezahlte die wenigen Nächte und machte sich dann ans Packen. Mit dem ganzen Gepäck mühte sie sich ab, in die Eingangshalle zu kommen. Das eine Gepäckstück liess sie vorerst stehen und marschierte mit Opas Koffer los. Im Krankenhaus angekommen, machte sie sich sofort auf den Rückweg, um ihre Tasche zu holen und hinterliess dann für Maria an der Rezeption eine Nachricht.
Als alles erledigt war, zeigte die Uhr bereits 15.00 Uhr. Augustes Magen knurrte wie wild. Den ganzen Tag hatte sie noch nichts gegessen. Opa hatte zur Stärkung schon eine Mahlzeit bekommen, doch davon wollte sie ihm nichts wegessen. Denn schliesslich war er krank. Hungrig machte sie sich auf in die Krankenhauskantine. Dort gab es überraschend billige belegte Brötchen, von denen sie sich eines leistete. Ihr Hunger war noch nicht gestillt, aber sie wollte so wenig Geld wie möglich ausgeben, damit sich Opa die teure Operation leisten könne.
Als sie zurück ins Zimmer kam, erwartete Maria sie bereits dort. Sie hatte noch keine Nachricht von den Wissenschaftlern erhalten, aber man hatte ihr die Nachricht überbracht, dass Auguste und Opa aus dem Hotel ausgechecked hatten und das Opa im Spital sei. Und so war sie sofort hierhergeilt, um sich mit eigenen Augen ein Bild von der Situation zu machen. Kurz überlegt hatte sie mit Opa besprochen, dass Auguste eine Woche lang bei ihr wohnen könne, und dass sie jeden Tag bei Opa im Krankenhaus vorbeikommen könne. Denn sie fand es keine gute Idee, dass sich Auguste würde verstecken müssen, damit sie nicht von den Schwestern auf die Strasse gejagt würde.
Auguste hörte sich den Vorschlag von Maria an. Zuerst war sie hell begeistert. Sie, die kleine Auguste von einem masurischen Dorf, würde bei einer berühmten Wissenschaftlerin in einem grossen Haus in Berlin wohnen! Wie toll! Wenn sie das ihren Freundinnen erzählen wird, die werden bestimmt alle blass vor Neid werden! Doch schon einen Augenblick später veränderte sich ihre Mine. Angst kam in ihr hoch. Sie war noch nie bei fremden Leuten zu Gast gewesen. Wie sollte sie sich verhalten? Wie würde sich Opa so alleine fühlen? Warum war Maria so nett zu ihr? Würde sie nachher etwas von ihr verlangen, was sie ihr womöglich nicht geben könnte? Denn obwohl sie von einem Dorf kam, war sie nicht so naiv, wie man glauben mochte. Sie hatte an langen Winterabenden den Geschichten der Erwachsenen gelauscht und dabei so manches gelernt. Etwas, was sie gelernt hatte, war auch gewesen, dass man im Leben nie etwas geschenkt bekommt, zumindest nicht von fremden Leuten.
Opa hatte wohl bemerkt, was in Augustes Kopf vorging. Er nickte ihr aufmunternd zu. "Ich glaube das ist die beste Lösung für alle. Wenn du zu Maria gehst Augustchen, dann habe ich auch mehr Platz im Bett und kann besser schlafen! Und Maria verlangt auch nichts dafür, dass Du bei ihr schläfst. Das einzige, was möchte ist, dass Du eine Woche lang mit ihr etwas unternimmst, Berlin anschaust, mit ihr ins Caffee gehst, sie an die Universität begleitest und ihr überall Gesellschaft leistest. Sie ist nämich momentan etwas alleine, da ihr werter Vater auf einer Geschäftsreise ist." Auguste dankte Opa erleichtert. Wie gut es ist, Menschen um sich zu haben, die sofort erkennen, was einen bewegt, dachte sie. Ja, Gesellschaft leisten, das konnte sie. Auch wenn sie nicht so gelehrt war wie Maria, wusste sie immer etwas, worüber sie sich unterhalten konnte. Was Auguste an Wissen fehlte, ersetzte sie durch Phantasie.
Maria war etwas ungeduldig, denn sie musste noch einiges erledigen heute. Also verabschiedete sich Auguste etwas wehmütig von Opa und folgte ihrer Gastgeberin. Zuerst brachten sie Augustes Tasche in das Haus. Maria schaute immer wieder auf die Uhr. Sie wurede etwas ungeduldig. Denn sie musste noch ein neues Kleid vor Ladenschluss kaufen und diese Auguste war gar langsam. Man merkte, dass das Mädchen vom Land kam, wo es nicht auf Minuten darauf an kam. Hier in der Stadt war das eben ganz anders. Und in der Tat. Auguste verstand nicht, warum Maria so hetzte. Es war doch erst vier Uhr nachmittags. Es war Sommer und würde noch lange nicht dunkel werden. Gerne hätte sich Auguste das Haus etwas genauer angeschaut. Doch sie musste ja ihrer Gastgeberin gehorchen. Also beeilte sie sich. Und wenige Augenblicke später bereute sie es nicht mehr, dass sie nicht zuhaus geblieben waren. Zusammen hatten sie ein Kaufhaus betreten. So etwas in dieser Grösse hatte Auguste noch nie gesehen. Das Geschäft war voll von herrlichen Kleidern, Stoffen und Waren, die man sich gar nicht alle zu erträumen vermochte! Während Maria Kleider anprobierte, strolchte Auguste mit staunenenden Augen durch den Laden. Würde sie jemals so viel Geld besitzen, dass sie so ein prächtiges Kleidungstück erwerben könnte? Es gab hier ganz edle Stoffe. Strümpfe aus Seide und Röcke aus Samt mit Brokat Verzierungen. Auguste traute kaum ihren Augen und ihren Händen. So fein war hier alles. Bei ihrem Rundgang stiess sie wieder auf Maria und der Mund blieb ihr offen stehen. Maria lachte. "Was ist denn mit dir los Augustchen?" Auguste traute ihren Augen kaum. Maria probierte gerade ein smaragd grünes Kleid aus Samt und Satin. Es stand ihr hervorragend und wenn Auguste nicht gewusst hätte, wer vor ihr stand, sie hätte gedacht, es sie die Königin von England. Nachdem Auguste dieses Kleid offensichtlich zu gefallen schien, entschloss Maria sich, es zu kaufen. Gemütlich schlenderten sie nach Hause, wo bereits ein herrschafltiches Abendessen auf die beiden wartete. Danach war Auguste so müde von den Anstrengungen des Tages, dass sie sich sofort verabschiedete und ins Bett begab.
Ja, ihr Leben hatte sich heute geändert. Allerdings ganz anders, als sie es gestern Abend erwartet hatte. Aber gestern war bereits viele Ewigkeiten her!

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