Sonntag, 27. April 2008

Kapitel 4: Verständigungsprobleme

Noch bevor Opa und Auguste es erwartet hatten, wurde die Tür aufgerissen. Und da staunte auch der Opa. Die schweren Schritte hatten ein grosses, kräftiges Wesen vermuten lassen. Aber vor ihnen in der Türe stand ein kleines, zart gebautes Männchen mit einer Knubbelnase. Aber nicht nur Opa und Auguste waren erschrocken, sondern das Männchen auch. Es hatte wohl jemand anderen erwartet. Mit einem ängstlichen Blick wich es zwei Schritte zurück und fragte Opa und Auguste etwas, dass sie nicht verstehen konnten. Immer wieder wiederholte es den fragenden Satz: " kya chhate hai?" Es entstand eine gegenseitige Verwirrung. Denn sowohl der Troll merkte, dass ihn die zwei Gäste nicht verstanden, als auch Opa und Auguste merkten, dass sie sich gar nicht überlegt hatten, wie sie mit den Trollen kommunizieren sollten.

Der Opa überlegte fieberhaft, ob er schon irgendwo einmal gehört hatte, welche Sprache Trolle sprechen würden und wie man sich mit ihnen verständigen sollte. Während er noch hirnte und die letzten Ecken seines Gedächtnis durchforschte, hatte Auguste schon eine zündende Idee. Sie war der Meinung, dass man dem Troll zuallererst klarmachen sollte, dass sie in friedlicher Absicht gekommen waren. Um dies darzustellen holte sie ein weisses Taschentuch heraus und schwenkte es hin und her. Denn vor einigen Tagen hatte sie in der Schule gelernt, dass in Kriegen die weisse Fahne das symbol für Frieden war. Sie konnte aber nicht wissen, dass in der Welt der Trolle eine weisse Fahne etwas ganz anderes symbolisierte. Sie war nämlich das Zeichen für Tod. So war es auch wenig erstaunlich, dass der Troll entsetzt die Augen aufriss und ihnen die Türe vor der Nase zuknallte.

Verdutzt schauten sich Opa und Auguste an. Was war das? Was hatte der Troll wohl verstanden? Wollte er keinen Frieden mit ihnen, oder hatten sie ihm etwas anderes signalisiert? Nun war es wohl unmöglich, dass Opa und Auguste hätten herausfinden könnnen was eine weisse Fahne bei den Trollen bedeutet. Aber nach einer kurzen Diskussion für die sie sich vorsichtshalber in das Wäldchen zurückgezogen hatten, kamen sie zum Schluss, dass weiss oder zumindest ein weisses Taschentuch für Trolle eine schlimme Bedeutung haben müsse. Sie sahen ein, dass sie momentan nicht viel machen könnten, bevor sie nicht mehr über Trolle und deren Sprache wussten, sodass sie langsam den Rückweg nach Hause antraten. Sowohl Opa, als auch Auguste hatten sich vorgenommen, in allen ihnen möglichen Quellen nach Hindweisen über Trolle nachzuforschen.

Unterdessen hatte sich das Trollmännchen im Häuschen auf die Bank vor dem Fenster gesetzt. Und beobachtete, wie die Fremden von dannen zogen. Er war froh, dass seine Frau nicht hiergewesen war. Sie hätte furchtbare Angst bekommen. Und plötzlich durchfuhr es ihn, als ob er vom Blitz getroffen worden war. Wo war eigentlich seine Frau so lange? Sie hätte schon lange vom Beerensammeln zurücksein sollen. Hatten die Fremden sie womöglich gefunden und sie war jetzt tot? Hatten sie ihm sagen wollen, dass er nicht auf seine Frau zu warten brauche? Waren sie womöglich gar nicht in böser Absicht gekommen, ihm den Tod zu erklären? Doch was hätte seiner Frau geschehen können? War sie vielleicht vom Bär angegriffen worden? Oder von einem Rudel Wölfe, die hier in Masuren noch häufig zu sehen waren? Oder war sie einem Elchweibchen mit Jungen zu nahe gekommen? Er fing sich an schreckliche Sorgen zu machen. Er selbst kannte sich in der Natur, wie sie hierzulande zu finden war aus, denn sie war jener seiner Heimatgegend nicht unähnlich. Doch seine indische Frau hatte bis vor kurzem in einem ganz anderen Umfeld gelebt. Zwar gab es bei ihr Zuhause auch Bären, Tiger Elefanten und Wölfe, doch wer weiss, vielleicht verhielten sie sich hier anders, als bei ihnen. Denn er konnte sich noch gut erinnern, wie seine Frau Asha einmal, er hatte sie erst frisch kennegelernt, einen jungen Wasserbüffel vor einem Tiger beschützte. Todesmutig mit einem grimmigen Blick und einem Ast in der Hand war sie zwischen den Büffel und den Tiger gestürzt und hatte es tatsächlich geschafft, ohne jegliche Verletzungen, den Angreiffer zu verjagen. Doch er bezweifelte, dass ihr das mit den heimischen Raubtieren gelingen würde, da diese gewohnt waren, dass die Menschen Angst vor ihnen hatten und sich wohl nicht so einfach vertreiben liessen.

Unruhig vor Sorge verliess er das Haus. Zuerst lief er laut rufend in die Richtung, in der er Asha vermutete. Doch er konnte sie nicht finden und es begann schon zu dämmern. Kurzentschlossen kehrte er um und folgte den Fremden. Glücklicherweise wusste er, wo sie wohnten, denn er war dem Mädchen (wir wissen, dass sie Auguste heisst) am Tage ihrer ersten Begegnung heimlich gefolgt und hatte auch gesehen, dass man über einen Baum gut zu ihr ins Zimmer kam, ohne von den übrigen Hausbewohnern bemerkt zu werden. Und ausserdem konnte er sich unsichtbar machen, was sein Vorhaben noch erleichtern würde. Leise kletterte er über den nicht allzudicken Ast des Baumes. Doch der Baum konnte ihn ohne Probleme tragen, denn er wog weniger als ein kleines Schulmädchen.

Doch als er beim Fenster ankam, stellte er fest, dass er sich gar nicht überlegt hatte, dass vielleicht nicht nur das Mädchen im Zimmer sein würde und falls dies der Fall war, wie er überhaupt mit ihr kommunizieren wollte. Denn seine Sprache sprachen sie nicht, dass stand fest. Und unglücklicher Weise konnte er sich nur noch Bruchstückhaft an die Sprache erinnern, die man bei ihnen zuhause sprach. Denn seit er das letzte Mal dort gewesen war, mussten mindestens 20 Sommer vergangen sein. Er überlegte und kam zum Schluss, dass es wohl das Beste sei, seine Frau auf ein Stück Papier zu zeichnen. Falls dieses Mädchen ihm mit der weissen Fahne wirklich hatte bedeuten wollen, dass sie seine Frau tot aufgefunden hatte, würde sie das schon verstehen.

Mit der fertigen Zeichnung in der Hand wartete er darauf, bis Auguste das Zimmer betrat. Endlich öffnete sich eine Tür und ein Mädchen kam herein. Doch es war nicht Auguste, es war ein etwas grösseres Mädchen, welches ihr sehr ähnelte. Das muss eine Schwester sein, dachte sich das Männchen und war nun froh, dass es sich entschieden hatte, sich unsichtbar zu machen. Er wartete und wartete. Doch von Auguste war keine Spur. Gerade als er gehen wollte, wurde er für seine Geduld belohnt und sie betrat das Zimmer. Leise klopfte er ans Fenster. Auguste hatte etwas gehört, war sich dessen aber nicht ganz sicher und dachte, sie hätte es sich wohl nur eingebildet. Das Trollmännchen klopfte erneut, diesmal etwas lauter. Nun war sich Auguste sicher, da draussen verbarg sich etwas. War es wohl wieder das unsichtige Wesen, das sie gehört hatte, als sie zu dem Trollmännchen hatte schleichen wollen. Sie hatte riesige Angst und wusste nicht recht, was sie machen sollte. Der Troll, der immer noch unsichtbar war, hielt das von ihm gemalte Bild an die Scheibe. Auguste trat näher und erkannte eine Frau. Es war eine schöne Frau. Sie hatte lange schwarze Haare und trug goldene Ohrringe. Allerdings, dachte Auguste, war der Zeichner wohl nicht so geschickt, denn die Frau hatte eine grosse Knubbelnase, was ihr schönes Aussehen ein wenig zerstörte.

Was will mir das Wesen da draussen wohl sagen? Soll die Frau wohl ich sein? Auguste hatte zwar keine schwarzen Haare, sondern eigentlich dunkel blonde, aber es konnte ja sein, dass dem Wesen keine anderen Farben zum Zeichnen zur Verfügung gestanden hatten. Oder war es ganz jemand anders? Wieso malte es eine solche Knubbelnase? Wollte es drohen, ihr Gesicht zu verstellen? Erschreckt wich sie zurück und rannte durchs ganz Haus zu ihrem Opa um ihn um seine Meinung zu fragen.

Der Troll wusste nicht, wie er dieses Verhalten zu deuten hatte. Er wartete noch eine Weile, aber als nichts mehr geschah machte er sich auf den Heimweg. Denn im Haus begann es langsam dunkel zu werden. Das heisst, die Leute gingen wohl alle langsam ins Bett und er würde vor morgen sicher keine Antwort bekommen. Müde und traurig schlurfte er nach Hause und bemerkte so nicht, dass nicht überall das Licht ausgegangen war. Aus einem Fenster konnte man noch deutlich den Schein einiger Kerzen wahrnehmen und Schatten zweier personen erkennen.

Als der Troll zuhause ankam begrüsste ihn seine Frau stürmisch. "Olaf kahan hua?!" (Olaf wo bist du gewesen?!) Er erschrak, war das wirklich seine Frau? Wie hatte er sich so in etwas hineinsteigern können und annehmen können sie sei gestorben, nur weil zwei Fremde mit einer weissen Fahne gekommen waren? Er lachte über seine Naivität und feierte erleichtert mit das Wiedersehen mit Asha.

Unterdessen diskutierten der Opa und Auguste immer noch. Auguste hätte schon längst im Bett sein sollen, doch sie war so aufgewühlt und ängstlich, dass alles Zureden des Opas sie nicht beruhigen konnte. Und schliesslich konnte auch der Opa die Zeichnung nicht richtig deuten und machte sich insgeheim Sorgen, was dieses unbekannte, durchsichtige Wesen wohl damit sagen wollte. Denn weder Opa, noch Auguste hatten bis jetzt eine Verbindung zwischen dem Troll und dem durchsichtigen Wesen herstellen können.

Sonntag, 20. April 2008

Kapitel 3: Opa hilft

Am nächsten Nachmittag fand Auguste Gelegenheit, einen Moment mit ihrem Opa alleine zu sein. Sofort sprach sie ihn auf die gesehen Wesen im Wald an. Zuerst lächelte der Opa und sie dachte schon, er wolle sie genau so auslachen, wie es alle anderen taten, aber dann setzte er ein ernstes Gesicht auf und überlegte. Er fragte Auguste, ob sie das Männlein und das Weiblein genau beschreiben könne. Doch Auguste hatte sie jeweils nur kurz zu Gesicht bekommen, weshalb eine genaue Beschreibung ein schwieriges Unterfangen war. Während sie sich noch abmühte hellte sich plötzlich die Miene des Opas auf. "Augustchen, ich weiss was du gesehen hast! Das waren bestimmt ein Trollmänchen und ein Trollweibchen." Unglaubig schaute ihn Auguste an. Was auch immer ein Troll war, das Wort hatte sie noch nie gehört, der Opa schien es auf jeden Fall zu kennen und das bedeutete, dass sie etwas ganz reales gesehen hatte. Sie hatte nämlich schon befürchtet, irr zu werden und Dinge zu sehen, die es gar nicht gab. Auch ihr Gesicht erhellte sich und sie fragte den Opa, was Trolle denn für eine Sprache sprechen. Doch das wusste der Opa auch nicht so genau. Er wusste nur, dass sie eigentlich in den skandinavischen Wäldern beheimatet waren. Was sie hier in Masuren wollten, war für ihn sehr sehr fraglich. Hatten sie sich verirrt? Oder waren sie auf Hochzeitsreise? Machten Trolle so etwas? Denn er musste sich eingestehen, obwohl er Augustchen eben stolz verkündet hatte, dass sie Trolle gesehen hatte, so wusste er selbst nicht wirklich viel über diese Wesen und hatte selbst noch nie einen Troll gesehen. Eigentlich war er sehr neugierig und deshalb schlug er Auguste vor, dass sie doch zusammen zu dem Wäldchen mit dem Bächlein gehen sollten und versuchen sollten, sich mit den Trollen zu verständigen.

Glücklich über ihren neuen Verbündeten, der ihre Ausflüge um einiges vereinfachen würde, da sie nun keine Ausreden mehr brauchte, schlug Auguste vor, sofort loszuziehen. Als Henriette Auguste mit Opa den Hof verlassen sah, wäre sie am liebsten hinterher geschlichen, denn sie ahnte, dass die zwei etwas spannendes vor hatten. Doch leider war sie in die Hofarbeiten eingebunden und hatte bis vor der Dunkelheit noch viel zu erledigen.

So zogen Auguste und ihr Opa unbeobachtet durch die grünen, mit Blumen übersähten Wiesen. Beim Bächlein angekommen, sahen sie natürlich nichts. Auguste wollte schon enttäuscht umkehren, aber der Opa hatte in seinem langen Leben schon so manche unglaublichen Geschichten gehört, bei denen wohl immer ein Körnchen Wahrheit dabei war. Und in einer dieser Geschichten hatte er gehört, dass Trolle, wenn sie sich sicher fühlen oft Musik machen und tanzen. So spitze er seine Ohren, um das leiseste Geräusch wahrzunehmen, dem er folgen konnte. Und tatsächlich hörte er eine leise Melodie, dem Klang eines Alphornes gleich, wenn es viele Kilometer entfernt ist. Darauf machte er Auguste aufmerksam. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese Melodie wirklich hören konnte, oder ob sie es sich nur einbildete, aber sie war sofort bereit, in diese Richtung durch das Dickicht des Wäldchens zu marschieren. Und tatsächlich, je weiter sie gingen, desto hörbarer wurde der Klang und bald war sie fest überzeugt, einen Musikanten zu hören.

Als sie schon eine Weile gegangen waren, stoppte die Musik abruppt. Sie hofften, man hatte sie nicht entdeckt und ihretwegen aufgehört zu spielen. Leise schlichen sie immer weiter in die Richtung, aus der die Musik gekommen war. Und plötzlich, Auguste traute ihren Augen nicht, kamen sie auf eine Lichtung. Und dort stand ein kleines, mikriges, ärmlich aussendes, aber wunderschönes Häusschen mit einem Schornstein. Aus dem Schornstein stieg ganz schwacher Rauch auf. "Aha, meinte der Grossvater, sieht ganz so aus, als ob diese Trolle hier wohnen würden." Auguste war begeistert. Jetzt wusste sie endlich, wo sie diese Wesen finden konnte, wenn sie sie suchte. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie jetzt machen sollten, aber der Opa war mutig und meinte, sie sollten doch an die Türe klopfen. Das taten sie auch. Von drinnen waren schwere schlurfende Schritte zu hören.

Samstag, 12. April 2008

Kapitel 2: Weiss Opa etwas?
Als Auguste abends in Begleitung des Lehrers nach Hause kam, sass noch die ganze Familie in der Stube bei Kerzenlicht und der Grossvater erzählte, wie er dies immer tat, wenn keine anderen wichtigen Gespräche anstanden. Auguste war aber zu müde, um sich der Runde anzuschliessen und beschloss, sofort schlafen zu gehen. So verpasste sie auch, dass eine Magd heute etwas seltsames gesehen hatte und der Grossvater nun eine Geschichte zum Besten gab, die mit den Beobachtungen der Magd zusammenhingen. In der gemütlichen, schwach beleuchteten Stube wurde es einigen Zuhörern etwas mulmig zu Mute. Doch da alle annahmen, dass die Magd wohl eine Sinnestäuschung gehabt hatte und der Opa wiedereinmal frei erfand, genossen die meisten den kleinen Schauer, der Ihnen bei der Erzählung über den Rücken lief. Ausser dem Opa nahm niemand die Geschichte ernst und es gibt ja bekanntlich nichts schöneres, als einen anstrengenden Arbeitstag mit einer spannenden Geschichte ausklingen zu lassen, die etwas Spannung in den immer gleichen Alltag bringt.

Doch wie schon gesagt, Auguste hörte die Geschichte nicht und da niemand es für wichtig empfand, ihr am nächsten Tag die Geschichte nachzuerzählen, erfuhr sie auch nicht, dass ihr der Grossvater vielleicht bei der Lösung ihres Rätsels hätte hilfreich sein können. Und auch von der Magd erfuhr sie nichts. Denn nach dem sie alle ausgelacht hatten, hatte diese beschlossen, ihre merkwürdige Beobachtung nicht mehr zu erwähnen. Und am nächsten Morgen glaubte sie schon fast daran, dass sie sich alles nur eingebildet hatte. Denn der Tag begann wie jeder andere. Bei Sonnenaufgang begann das Leben auf dem Hof und es blieb keine Zeit um lange über ungewöhnliche Angelegenheiten nachzudenken.

Schade, denn für Auguste wäre dies wohl eine grosse Hilfe gewesen. Beim ersten Sonnenstrahl war auch sie, die sonst immer etwas länger als die anderen schlafen durfte, hellwach. In windeseile zog sie sich an, sprang die Treppe herunter und half in der Küche das Frühstück zu zubereiten. Sie wusste nicht genau warum, aber sie fühlte sich glücklich. Glücklicher als normal. Natürlich nicht glücklicher, als wenn sie sehnsüchtig auf Weihnachten wartete, für Auguste die glücklichste Zeit des Jahres, denn dann gab es Süssigkeiten und am Weihnachtsabend brachte der Weihnachtsmann Orangen und wenn man artig war sogar eine ganze Tafel Schokolade und noch ein schönes Geschenk, wie einen neuen Schal, oder ein neues Kleid. Aber das kleine Abenteuer, das Auguste erwartete liess sie in eine fast so strahlen, wie wenn sie am zweiten Weihnachtstag erwartungsvoll ein Stückchen von ihrer Schokolade abbrach. Dieses Strahlen blieb auch den anderen Hofbewohnern nicht verborgen. Henriette, die zweite Schwester von Auguste, begann ihr Schwesterchen zu necken. "Hast du dich verliebt kleines?" fragte sie. Auguste, die sonst auf solche Bemerkungen eher zornig reagierte, nahm es diesmal gelassen und meinte nur, dass es in ihrer Klasse keine Jungen zum Verlieben gäbe. Nun war Henriette wirklich baff. Eine solche Reaktion liess sie mistrauisch werden. Doch sie beschloss das ganze ruhen zu lassen und in Zukunft ihre Schwester besser zu beobachten. Sehr zum Leid von Auguste, die es gewohnt war, dass sie normalerweise kaum beachtet wurde.

Als Auguste nun fast eine Stunde zu früh zur Schule aufbrechen wollte, beschloss Henriette mit ihr zu gehen, um zu sehen, was der Grund war, warum Auguste, die sonst eher zu den Morgenmuffel zählte, heute so ganz anders war. Dieser Entschluss von Seiten Henriettes war ein ziemlicher Dämpfer für Augustes gute Stimmung. Wie sollte sie nun dem Männchen einen Besuch abstatten? Doch als sie sich dem Wäldchen näherten, bei dem sie gestern das Männchen gesehen hatte, schoss Auguste eine blendende Idee durch den Kopf. Sie täuschte ihrer Schwester vor, dass sie sich dringend erleichtern müsse und verschwand im Wäldchen. Henriette wartete auf dem Weg. Viel Zeit hatte Auguste so zwar nicht, aber immerhin konnte sie einen Blick auf die Stelle erhaschen, wo sie das Männchen zum ersten Mal gesehen hatte. Und tatsächlich, als sie zur genannten Stelle kam, sah sie, wie das Männchen im Bächlein badete. Doch es war nicht alleine. Neben ihm war ein kleines Frauchen. Sie wartete am Rande des Bächleins mit einem Tuch, das sie parat hielt, damit sich das dem Ufer nähernde Männchen abtrocknen konnte. Auguste war wie verzaubert von diesem Anblick. Die Sonnenstrahlen reflektierten schwach im plätschernden Bächlein. Die Vögel zwitscherten, die Blätter in den Bäumen rauschten und vor ihren Augen sah sie etwas, was sie nie für möglich gehalten hätte. Sie versuchte so leise wie möglich hinter einem kleinen Busch stehen zu bleiben. Sie konnte merkwürdige Laute vernehmen. Die zwei unterhielten sich wohl. Und dann plötzlich war der Zauber vorbei. Henriette war etwas nervös geworden, da ihr Schwesterchen so lange nicht zurück kam und rief laut Augustes Namen. Die zwei Zwergenartigen Wesen hatten das gehört, schauten auf und erblickten Auguste. Das Frauchen löste sich erschreckt in Luft auf. Das Männchen blieb noch eine Weile und schaute Auguste neugierig an. Dann schien er ihr etwas sagen zu wollen. Doch Auguste konnte es nicht verstehen. Und plötzlich war das Männchen weg und Henriette stand hinter ihr. "Hier bist du also," meinte sie Vorwurfsvoll. "Mit wem redest du denn?" Doch Auguste hatte keine Lust ihr etwas zu erklären und so gingen sie wortlos weiter in Richtung Schule. Auf dem Weg dachte sie allerlei. Ob wohl die zwei verheiratet waren? Heiraten denn solche Zwergwesen überhaupt? Und wenn ja, haben diese auch Kinder? Und warum hatte ihr noch niemand erzählt, dass es solche Lebewesen gab? War sie womöglich die erste Person, die sie gesehen hatte? Sie beschloss am Nachmittag nach der Schule zu Opa zu gehen. Opa war der einzige Mensch auf dem Hof, der sie nicht auslachen würde, wenn sie ihm ihre Entdeckung mitteilte. Und vielleicht kannte er ja jemanden, der schon mal so etwas gesehen hatte wie sie, oder vielleicht hatte er selbst schon mal so etwas gesehen?

Freitag, 4. April 2008

Kapitel 1: Auguste und die Strafarbeit

Nach Atem ringed erreichte Auguste die Schule. Der Lehrer hatte die Stunde gerade begonnen, als sie aufgeregt das Klassenzimmer betrat. Herr Jakubassa war ein strenger Lehrer und schaute Auguste rügend an. Vorwurfsvoll ermahnte er sie und meinte, dass die Schulstunde bereits begonnen habe. Auguste müsse für ihr zuspätkommen diszipliniert werden. Da der Herr Jakubassa aber an jenem Tag sehr milde gestimmt war und er sah, dass Auguste voll freudiger Aufregung den Raum betrat, auferlegte er Auguste lediglich die Strafe, für den nächsten Tag einen Aufsatz zu schreiben, den sie dann der Klasse vorlesen sollte.

Nach der Schule eilte Auguste nach Hause. Wegen ihrer zusätzlichen Hausaufgaben hatte sie keine Zeit, nach dem seltsammen Männchen ausschau zu halten. Doch vergessen hatte sie es nicht. Zuhause wollte sie die Geschichte ihrer älteren Schwester Ottilie erzählen. Doch Ottiele musste neben den Schulaufgaben noch wichtige Hofarbeiten, wie das Sammeln der Eier, das Füttern der Hühner und Melken der Kühe erledigen, weshalb sie für die kleine Schwester wenig Zeit hatte und diese auf später vertröstete.

Auguste wollte sich aber nicht so von ihrer Schwester abservieren lassen und verzog sich wütend in die hintere Stube, wo sie begann ihre Hausaufgaben zu machen. Denn viel Zeit hatte sie nicht. Vor dem Abendessen musste alles fertig sein. Denn auch sie hatte ihr kleines Ämtchen und das bestand aus Tischdecken und nach dem Essen zusammen mit der Magd die Küche aufzuräumen.

Doch was sollte sie in ihrem Aufsatz nur schreiben? Da kam ihr die Idee, sie könnte von der morgentliche Begegnung berichten. Freudig machte sie sich ans Schreiben. Doch weit kam sie nicht. Denn viel wusste sie eigentlich nicht. Sie hatte verträumt am Bach gesessen und plötzlich war da für einige Sekunden dieses Männchen. Und dann war es wieder weg. Was gab es darüber schon zu berrichten? Bis zum Abendessen waren es noch 2 Stunden und so beschloss Auguste, die zwei Kilometer bis zum Bach noch einmal zurück zu gehen und zu schauen, ob sie dass Männchen wieder treffen würde.

Um den Hof um diese Zeit zu verlassen musste sie eine sehr gute Ausrede haben, oder sich heimlich davon schleichen. Auguste entschloss sich für letzteres. Doch es war nicht ganz einfach. Nachmittags waren viele Knechte und Mägde in der Nähe des Hofes beschäftigt. Ein ungewöhnliches Verhalten von Seitens Auguste hätte diese mistrauisch gemacht. Deshalb entschloss sich das Mädchen, die gefährlichere, aber sicherere Variante zu wählen. Im zweiten Stock des Hauses kamen die Äste eines grossen Baumes bis ans Fenster heran. Wer geschickt war konnte dort unbemerkt hinausklettern und hinter dem grossen Gartenzaun, der den Hof umgab vom Baum herabspringen. Auf dem Baum war Auguste als Kind oft herumgeklettert. Aber das war schon eine Weile her. Ein wenig nervös wagte sie es trotzdem, sich aus dem Fenster bis zum ersten Ast zu hangeln. Würde der Ast sie tragen? Sie war nicht mehr das kleine, leichte Kindergartenmädchen. Seit sie das letzte Mal auf dem Baum war, hatte sie einige Kilos zugenommen. Auguste hielt den Atem an, tastete sich Schritt für Schritt vorwärts. Der Ast bog sich unter ihrem Gewicht bedenklich. Und dann hörte sie zu ihrem Entsetzen auch noch Schritte unter ihr. Der Baum war gut belaubt, dass heisst, wenn die Person nicht nach ihr Ausschau halten würde, könnte Auguste unbemerkt davon kommen. Das bedeutete aber auch, dass sie keinen Muks machen durfte. Vorsichtig linste sie nach unten. Wer wohl dort herum ging?

Und da sah sie zum zweiten Mal an diesem Tage etwas ganz unerwartetes. Sie sah nämlich gar nichts! Deutlich konnte sie die Schritte hören. Jemand oder Etwas ging unter dem Baum im Kreis. Auguste spähte so gut es ging hinunter, doch es gelang ihr beim Besten Willen nicht, herauszufinden, was da unter ihr vorging. Langsam wurde es ihr unheimlich. In ihrem kurzen Leben war bis jetzt alles immer sehr einfach und klar gewesen. Sie kannte den Hof, sie kannte die Umgebung des Hofes, sie kannte die Angestellten, sie kannte die Verwandten, die Tiere und seit sie zur Schule ging kannte sie auch das Dorf und einige Kinder von anderen Höfen in der Umgebung. Bei allen verlief das Leben gleich. Morgens stand die gesammte Familie und das Gesindel in aller Herrgottsfrühe auf und dann wurde mit der Arbeit begonnen. Überraschungen und Unerwartetes gab es nicht. Höchstens, dass eine Tante oder ein Cousin unerwartet zu besuch kamen, dass das Wetter früher als erwartet umschlug, oder dass eine Katze wiedereinmal unbemerkt schwanger geworden war und Junge zur Welt brachte. Augustes Weltbild war jenes, wie es wohl alle Kinder des ländlichen Masurens hatten. Fremdes und Neues gab es praktisch nicht.

Und doch war dort unter ihr irgend ein Wesen, von dem ihr noch nie jemand erzählt hatte, und dass sie selbst auch noch nie wahrgenommen hatte. Unaufhörlich ging es im Kreis. Warum es das wohl tat? Je mehr Zeit verstrich, desto grösser wurde Augustes Angst. Ohne gross zu überlegen sprang sie vom Baum und rannte übers Feld zu dem ausgetrammpelten Weg der ins Dorf führte. Doch die Angst verschwand nicht. Denn bei ihrer Flucht hatte sie ziemlich viel Lärm gemacht und musste befürchten, dass das unheimliche Wesen sie gehört hatte und ihr womöglich gefolgt war. Nun musste sie sich nicht nur vor den Hofbewohnern verstecken, sondern auch noch vor etwas, dass sie selbst nicht sehen konnte.

Was sollte sie nur machen? Sollte sie ihr Vorhaben, dass Männchen zu suchen durchsetzen, oder sollte sie lieber wieder auf den Hof zurückkehren und sich in die sichere Nähe der anderen Bewohner retten?

Die Entscheidung wurde Auguste sehr leicht gemacht. Denn aus der Richtung des Dorfes sah sie eine Gestallt auf den Hof zukommen. Nach einigen Minuten wurde sichtbar, dass es sich um Lehrer Jakubassa handelte. Nun war Auguste der Weg nach vorne abgeschnitten. Und zurück auf den Hof konnte sie auch nicht mehr, denn Herr Jakubassa hatte sie bereits gesehen und winkte ihr zu. Als er nahe genug an sie herangekommen war, eröffnete er das Gespräch und sagte zu Auguste, dass sie ihre Strafarbeit nicht machen müsse, wenn sie mit ihm zurück ins Dorf käme und ihm bei der Wäsche helfen würde. Schnell wurde die Angelegenheit mit Augustes Mutter besprochen und Auguste blieb gar nichts anderes übrig, als mit dem Lehrer mitzugehen. So wurde aus ihrer kleinen Entdeckungsreise nichts. Doch während sie dem Lehrer mit der Wäsche half, hatte sie viel Zeit über die zwei Begegnungen des Tages nachzudenken. Und sie war sich sicher, dass sie zur gegebenen Zeit dem ganzen nachgehen würde.