Kapitel 2: Weiss Opa etwas?
Als Auguste abends in Begleitung des Lehrers nach Hause kam, sass noch die ganze Familie in der Stube bei Kerzenlicht und der Grossvater erzählte, wie er dies immer tat, wenn keine anderen wichtigen Gespräche anstanden. Auguste war aber zu müde, um sich der Runde anzuschliessen und beschloss, sofort schlafen zu gehen. So verpasste sie auch, dass eine Magd heute etwas seltsames gesehen hatte und der Grossvater nun eine Geschichte zum Besten gab, die mit den Beobachtungen der Magd zusammenhingen. In der gemütlichen, schwach beleuchteten Stube wurde es einigen Zuhörern etwas mulmig zu Mute. Doch da alle annahmen, dass die Magd wohl eine Sinnestäuschung gehabt hatte und der Opa wiedereinmal frei erfand, genossen die meisten den kleinen Schauer, der Ihnen bei der Erzählung über den Rücken lief. Ausser dem Opa nahm niemand die Geschichte ernst und es gibt ja bekanntlich nichts schöneres, als einen anstrengenden Arbeitstag mit einer spannenden Geschichte ausklingen zu lassen, die etwas Spannung in den immer gleichen Alltag bringt.
Doch wie schon gesagt, Auguste hörte die Geschichte nicht und da niemand es für wichtig empfand, ihr am nächsten Tag die Geschichte nachzuerzählen, erfuhr sie auch nicht, dass ihr der Grossvater vielleicht bei der Lösung ihres Rätsels hätte hilfreich sein können. Und auch von der Magd erfuhr sie nichts. Denn nach dem sie alle ausgelacht hatten, hatte diese beschlossen, ihre merkwürdige Beobachtung nicht mehr zu erwähnen. Und am nächsten Morgen glaubte sie schon fast daran, dass sie sich alles nur eingebildet hatte. Denn der Tag begann wie jeder andere. Bei Sonnenaufgang begann das Leben auf dem Hof und es blieb keine Zeit um lange über ungewöhnliche Angelegenheiten nachzudenken.
Schade, denn für Auguste wäre dies wohl eine grosse Hilfe gewesen. Beim ersten Sonnenstrahl war auch sie, die sonst immer etwas länger als die anderen schlafen durfte, hellwach. In windeseile zog sie sich an, sprang die Treppe herunter und half in der Küche das Frühstück zu zubereiten. Sie wusste nicht genau warum, aber sie fühlte sich glücklich. Glücklicher als normal. Natürlich nicht glücklicher, als wenn sie sehnsüchtig auf Weihnachten wartete, für Auguste die glücklichste Zeit des Jahres, denn dann gab es Süssigkeiten und am Weihnachtsabend brachte der Weihnachtsmann Orangen und wenn man artig war sogar eine ganze Tafel Schokolade und noch ein schönes Geschenk, wie einen neuen Schal, oder ein neues Kleid. Aber das kleine Abenteuer, das Auguste erwartete liess sie in eine fast so strahlen, wie wenn sie am zweiten Weihnachtstag erwartungsvoll ein Stückchen von ihrer Schokolade abbrach. Dieses Strahlen blieb auch den anderen Hofbewohnern nicht verborgen. Henriette, die zweite Schwester von Auguste, begann ihr Schwesterchen zu necken. "Hast du dich verliebt kleines?" fragte sie. Auguste, die sonst auf solche Bemerkungen eher zornig reagierte, nahm es diesmal gelassen und meinte nur, dass es in ihrer Klasse keine Jungen zum Verlieben gäbe. Nun war Henriette wirklich baff. Eine solche Reaktion liess sie mistrauisch werden. Doch sie beschloss das ganze ruhen zu lassen und in Zukunft ihre Schwester besser zu beobachten. Sehr zum Leid von Auguste, die es gewohnt war, dass sie normalerweise kaum beachtet wurde.
Als Auguste nun fast eine Stunde zu früh zur Schule aufbrechen wollte, beschloss Henriette mit ihr zu gehen, um zu sehen, was der Grund war, warum Auguste, die sonst eher zu den Morgenmuffel zählte, heute so ganz anders war. Dieser Entschluss von Seiten Henriettes war ein ziemlicher Dämpfer für Augustes gute Stimmung. Wie sollte sie nun dem Männchen einen Besuch abstatten? Doch als sie sich dem Wäldchen näherten, bei dem sie gestern das Männchen gesehen hatte, schoss Auguste eine blendende Idee durch den Kopf. Sie täuschte ihrer Schwester vor, dass sie sich dringend erleichtern müsse und verschwand im Wäldchen. Henriette wartete auf dem Weg. Viel Zeit hatte Auguste so zwar nicht, aber immerhin konnte sie einen Blick auf die Stelle erhaschen, wo sie das Männchen zum ersten Mal gesehen hatte. Und tatsächlich, als sie zur genannten Stelle kam, sah sie, wie das Männchen im Bächlein badete. Doch es war nicht alleine. Neben ihm war ein kleines Frauchen. Sie wartete am Rande des Bächleins mit einem Tuch, das sie parat hielt, damit sich das dem Ufer nähernde Männchen abtrocknen konnte. Auguste war wie verzaubert von diesem Anblick. Die Sonnenstrahlen reflektierten schwach im plätschernden Bächlein. Die Vögel zwitscherten, die Blätter in den Bäumen rauschten und vor ihren Augen sah sie etwas, was sie nie für möglich gehalten hätte. Sie versuchte so leise wie möglich hinter einem kleinen Busch stehen zu bleiben. Sie konnte merkwürdige Laute vernehmen. Die zwei unterhielten sich wohl. Und dann plötzlich war der Zauber vorbei. Henriette war etwas nervös geworden, da ihr Schwesterchen so lange nicht zurück kam und rief laut Augustes Namen. Die zwei Zwergenartigen Wesen hatten das gehört, schauten auf und erblickten Auguste. Das Frauchen löste sich erschreckt in Luft auf. Das Männchen blieb noch eine Weile und schaute Auguste neugierig an. Dann schien er ihr etwas sagen zu wollen. Doch Auguste konnte es nicht verstehen. Und plötzlich war das Männchen weg und Henriette stand hinter ihr. "Hier bist du also," meinte sie Vorwurfsvoll. "Mit wem redest du denn?" Doch Auguste hatte keine Lust ihr etwas zu erklären und so gingen sie wortlos weiter in Richtung Schule. Auf dem Weg dachte sie allerlei. Ob wohl die zwei verheiratet waren? Heiraten denn solche Zwergwesen überhaupt? Und wenn ja, haben diese auch Kinder? Und warum hatte ihr noch niemand erzählt, dass es solche Lebewesen gab? War sie womöglich die erste Person, die sie gesehen hatte? Sie beschloss am Nachmittag nach der Schule zu Opa zu gehen. Opa war der einzige Mensch auf dem Hof, der sie nicht auslachen würde, wenn sie ihm ihre Entdeckung mitteilte. Und vielleicht kannte er ja jemanden, der schon mal so etwas gesehen hatte wie sie, oder vielleicht hatte er selbst schon mal so etwas gesehen?
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1 Kommentar:
Ich werde folgen...
Gruesse Juha!
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