Freitag, 4. April 2008

Kapitel 1: Auguste und die Strafarbeit

Nach Atem ringed erreichte Auguste die Schule. Der Lehrer hatte die Stunde gerade begonnen, als sie aufgeregt das Klassenzimmer betrat. Herr Jakubassa war ein strenger Lehrer und schaute Auguste rügend an. Vorwurfsvoll ermahnte er sie und meinte, dass die Schulstunde bereits begonnen habe. Auguste müsse für ihr zuspätkommen diszipliniert werden. Da der Herr Jakubassa aber an jenem Tag sehr milde gestimmt war und er sah, dass Auguste voll freudiger Aufregung den Raum betrat, auferlegte er Auguste lediglich die Strafe, für den nächsten Tag einen Aufsatz zu schreiben, den sie dann der Klasse vorlesen sollte.

Nach der Schule eilte Auguste nach Hause. Wegen ihrer zusätzlichen Hausaufgaben hatte sie keine Zeit, nach dem seltsammen Männchen ausschau zu halten. Doch vergessen hatte sie es nicht. Zuhause wollte sie die Geschichte ihrer älteren Schwester Ottilie erzählen. Doch Ottiele musste neben den Schulaufgaben noch wichtige Hofarbeiten, wie das Sammeln der Eier, das Füttern der Hühner und Melken der Kühe erledigen, weshalb sie für die kleine Schwester wenig Zeit hatte und diese auf später vertröstete.

Auguste wollte sich aber nicht so von ihrer Schwester abservieren lassen und verzog sich wütend in die hintere Stube, wo sie begann ihre Hausaufgaben zu machen. Denn viel Zeit hatte sie nicht. Vor dem Abendessen musste alles fertig sein. Denn auch sie hatte ihr kleines Ämtchen und das bestand aus Tischdecken und nach dem Essen zusammen mit der Magd die Küche aufzuräumen.

Doch was sollte sie in ihrem Aufsatz nur schreiben? Da kam ihr die Idee, sie könnte von der morgentliche Begegnung berichten. Freudig machte sie sich ans Schreiben. Doch weit kam sie nicht. Denn viel wusste sie eigentlich nicht. Sie hatte verträumt am Bach gesessen und plötzlich war da für einige Sekunden dieses Männchen. Und dann war es wieder weg. Was gab es darüber schon zu berrichten? Bis zum Abendessen waren es noch 2 Stunden und so beschloss Auguste, die zwei Kilometer bis zum Bach noch einmal zurück zu gehen und zu schauen, ob sie dass Männchen wieder treffen würde.

Um den Hof um diese Zeit zu verlassen musste sie eine sehr gute Ausrede haben, oder sich heimlich davon schleichen. Auguste entschloss sich für letzteres. Doch es war nicht ganz einfach. Nachmittags waren viele Knechte und Mägde in der Nähe des Hofes beschäftigt. Ein ungewöhnliches Verhalten von Seitens Auguste hätte diese mistrauisch gemacht. Deshalb entschloss sich das Mädchen, die gefährlichere, aber sicherere Variante zu wählen. Im zweiten Stock des Hauses kamen die Äste eines grossen Baumes bis ans Fenster heran. Wer geschickt war konnte dort unbemerkt hinausklettern und hinter dem grossen Gartenzaun, der den Hof umgab vom Baum herabspringen. Auf dem Baum war Auguste als Kind oft herumgeklettert. Aber das war schon eine Weile her. Ein wenig nervös wagte sie es trotzdem, sich aus dem Fenster bis zum ersten Ast zu hangeln. Würde der Ast sie tragen? Sie war nicht mehr das kleine, leichte Kindergartenmädchen. Seit sie das letzte Mal auf dem Baum war, hatte sie einige Kilos zugenommen. Auguste hielt den Atem an, tastete sich Schritt für Schritt vorwärts. Der Ast bog sich unter ihrem Gewicht bedenklich. Und dann hörte sie zu ihrem Entsetzen auch noch Schritte unter ihr. Der Baum war gut belaubt, dass heisst, wenn die Person nicht nach ihr Ausschau halten würde, könnte Auguste unbemerkt davon kommen. Das bedeutete aber auch, dass sie keinen Muks machen durfte. Vorsichtig linste sie nach unten. Wer wohl dort herum ging?

Und da sah sie zum zweiten Mal an diesem Tage etwas ganz unerwartetes. Sie sah nämlich gar nichts! Deutlich konnte sie die Schritte hören. Jemand oder Etwas ging unter dem Baum im Kreis. Auguste spähte so gut es ging hinunter, doch es gelang ihr beim Besten Willen nicht, herauszufinden, was da unter ihr vorging. Langsam wurde es ihr unheimlich. In ihrem kurzen Leben war bis jetzt alles immer sehr einfach und klar gewesen. Sie kannte den Hof, sie kannte die Umgebung des Hofes, sie kannte die Angestellten, sie kannte die Verwandten, die Tiere und seit sie zur Schule ging kannte sie auch das Dorf und einige Kinder von anderen Höfen in der Umgebung. Bei allen verlief das Leben gleich. Morgens stand die gesammte Familie und das Gesindel in aller Herrgottsfrühe auf und dann wurde mit der Arbeit begonnen. Überraschungen und Unerwartetes gab es nicht. Höchstens, dass eine Tante oder ein Cousin unerwartet zu besuch kamen, dass das Wetter früher als erwartet umschlug, oder dass eine Katze wiedereinmal unbemerkt schwanger geworden war und Junge zur Welt brachte. Augustes Weltbild war jenes, wie es wohl alle Kinder des ländlichen Masurens hatten. Fremdes und Neues gab es praktisch nicht.

Und doch war dort unter ihr irgend ein Wesen, von dem ihr noch nie jemand erzählt hatte, und dass sie selbst auch noch nie wahrgenommen hatte. Unaufhörlich ging es im Kreis. Warum es das wohl tat? Je mehr Zeit verstrich, desto grösser wurde Augustes Angst. Ohne gross zu überlegen sprang sie vom Baum und rannte übers Feld zu dem ausgetrammpelten Weg der ins Dorf führte. Doch die Angst verschwand nicht. Denn bei ihrer Flucht hatte sie ziemlich viel Lärm gemacht und musste befürchten, dass das unheimliche Wesen sie gehört hatte und ihr womöglich gefolgt war. Nun musste sie sich nicht nur vor den Hofbewohnern verstecken, sondern auch noch vor etwas, dass sie selbst nicht sehen konnte.

Was sollte sie nur machen? Sollte sie ihr Vorhaben, dass Männchen zu suchen durchsetzen, oder sollte sie lieber wieder auf den Hof zurückkehren und sich in die sichere Nähe der anderen Bewohner retten?

Die Entscheidung wurde Auguste sehr leicht gemacht. Denn aus der Richtung des Dorfes sah sie eine Gestallt auf den Hof zukommen. Nach einigen Minuten wurde sichtbar, dass es sich um Lehrer Jakubassa handelte. Nun war Auguste der Weg nach vorne abgeschnitten. Und zurück auf den Hof konnte sie auch nicht mehr, denn Herr Jakubassa hatte sie bereits gesehen und winkte ihr zu. Als er nahe genug an sie herangekommen war, eröffnete er das Gespräch und sagte zu Auguste, dass sie ihre Strafarbeit nicht machen müsse, wenn sie mit ihm zurück ins Dorf käme und ihm bei der Wäsche helfen würde. Schnell wurde die Angelegenheit mit Augustes Mutter besprochen und Auguste blieb gar nichts anderes übrig, als mit dem Lehrer mitzugehen. So wurde aus ihrer kleinen Entdeckungsreise nichts. Doch während sie dem Lehrer mit der Wäsche half, hatte sie viel Zeit über die zwei Begegnungen des Tages nachzudenken. Und sie war sich sicher, dass sie zur gegebenen Zeit dem ganzen nachgehen würde.

1 Kommentar:

Juha V. Mentu hat gesagt…

Hochinteressant! Ich werde auf die Fortsetzung der Erzählung warten...!