Am nächsten Morgen weckte der Opa Auguste mit den Worten: "ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht." Sofort war Auguste hell wach aus dem Bett gesprungen und drängte den Opa, alles zu erzählen. Nun, Opa machte es spannend und begann mit der schlechten Nachricht. Er erzählte Auguste, dass er bis spät in die Nacht versucht hatte, die Wörter zu entschlüsseln, dass es ihm aber nicht gelungen sei. Wie nicht anders zu erwarten, war Auguste sehr enttäuscht über diese Botschaft. Opa zögerte noch ein Weilchen und rückte dann mit der guten Nachricht heraus. Er hatte als Kind bei einem Unfall ein Auge verloren. Damals war ihm anstelle des richtigen ein Glasauge eingesetzt worden. Nicht dass ihn dies gross in seiner Lebensweise beinträchtigt hätte, nein, er hatte schon einig Jährchen auf dem Puckel und hatte während seines langen Lebens gelernt, mit dem fehlenden Auge umzugehen. Jetzt aber hatte er gehört, dass mit dem neuen medizinischen Fortschritt vielleicht eine Heilung des Auges möglich sei. Und das wollte er zumindest einmal von Nahem sehen, auch wenn für Ihn des Alters wegen eine solche Operation wohl nicht mehr in Frage käme, ganz abgesehen davon, was es kosten würde. Das Geld dafür währe nicht vorhanden. Für eine Reise nach Berlin hingegen wäre es knapp genug. Deshalb wollte er nach Berlin fahren. Um jedoch die lange Reise nicht alleine auf sich nehmen zu müssen, würde er um die meist entbehrlichste Arbeitskraft als Begleitung bitten. Da Auguste die Jüngste auf dem Hof war, hatte sie am wenigsten Aufgaben zu verrichten. Sie könnte also am ehesten durch andere ersetzt werden.
Auguste jubelte freudig auf. "Opa, du bist grossartig!" rief sie. Eine gerade in der Nähe arbeitende Magd hob erschrocken den Kopf. Wer schrie denn schon morgens so in der Gegend herum? Als sie sah, dass es sich um Augustchen und den Opa handelte, schüttelte sie bloss den Kopf und dachte bei sich. Die eine ist noch zu jung um ernst durchs Leben zu gehen und der andere schon zu alt. Die beiden passen gut zueinander.
Gleich nach dem Frühstück gingen alle Hofbewohner zusammen in die Kirche. Schliesslich war es Sonntag und das ganze Dorf ging dort hin. Da konnte keiner fehlen, dass würde sofort auffallen und zu Getratsche führen. Auguste ging einerseits gerne in die Kirche, weil sie so gerne die schönen Lieder hörte und sang, andererseits fand sie die Predigt des Pfarrers meist sehr langweilig, weil er über Dinge sprach, die sie nicht verstand. Sie freute sich aber während der Kirche immer auf die Zeit nach dem Gottesdienst. Alle würden vor der Kirche stehen, man unterhielt sich, scherzte und pflegte Kontakte. Das mochte sie gerne. Heute jedoch zog es sie so schnell wie möglich nach Hause. Opa hatte ihr versprochen, dass sie beim sonntäglichen gemeinsamen Mittagessen die ganze Familie in ihre Pläne einweihen würden. Es war sehr wichtig, dass sie eine Erlaubnis für ihr Unternehmen bekommen würden. Und so kam es, dass Opas und Augustchens Reise das Gespräch während des Mittagsessen vollkommen ausfüllten. Nach langem hin und her diskutieren, wurde beschlossen, dass die beiden gehen könnten. Opa hätte sein Lebtag genug geschuftet und sei noch nie weiter als in die Bezirkshauptstadt gekommen und Augustchen sei eine gute Begleitung für den Opa und wer weiss, vielleicht würde ihr die Stadterfahrung später einmal nützen. Es wurde auch diskutiert, dass wenn Augustchen nach Berlin fahren dürfe, die älteren Schwestern auch gehen sollten, da es sonst unfähr sei. Doch momentan reichte das Geld nicht für alle und ausserdem würden zuviele Arbeitskräfte fehlen. Man einigte sich darauf, dass die Schwestern alle einzeln, nach Beendigung der Schule für ein paar Wochen oder Monate in eine grosse Stadt fahren sollten, um das Stadtleben kennen zu lernen. Damit waren alle einverstanden.
Nach dem Essen zogen sich Auguste und Opa aufgeregt in Opas Zimmer zurück. Bis zur Abreise musste noch so viel geplant werden! Sie hatten beschlossen, dass sie nächsten Samstag losreisen wollten. So konnte Auguste noch eine ganze Woche zur Schule gehen und es würde genug Zeit bleiben, alles bis ins Detail zu planen. Was würden sie alles mitnehmen müssen? Auf was würden sie in Berlin treffen? Wie sollten sie überhaupt nach Berlin kommen? Zuerst müssten sie nach Lyck/ Elk reisen. Von dort könnten sie den Zug nach Allenstein/Olsztyn nehmen. Ja und von dort würde es wohl einen Zug geben, der direkt nach Berlin fahren würde, oder etwa nicht? Als sie so überlegten, merkten sie, dass sie ein ziemliches Unternehmen zu planen hätten. Sie würden mindestens 2 Wochen unterwegs sein. Wo würden sie überhaupt schlafen? All diese Fragen hatte sich Auguste vorher nicht gestellt. Und jetzt schienen ihr auf einmal viele Probleme auf sie zuzukommen. Der Sonntag war schon fast fertig und sie wussten immer noch nicht genau, wie sie das ganze Vorhaben durchführen sollten. Opa meinte: "Kommt Zeit, kommt Rat." Doch dieser Ausspruch mochte Auguste nicht recht zu beruhigen. Sie nahm sich fest vor, am nächsten Tag den Lehrer in der Schule über Berlin und den Weg dorthin auszufragen.
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1 Kommentar:
Ich glaube, dass die beide Reisende sehr viel lernen werden! Ich warte...
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