Am nächsten Morgen wachte der Troll früh auf und dachte nocheinmal über die seltsame Begegnung vom Vortag nach. Was war gestern nur in ihn gefahren? Wieso war er diesen seltsamen Leuten auf ihren Hof gefolgt? Er wusste ja immer noch nicht, ob sie ihm freundlich gesinnt waren, oder nicht. Hätten sie ihn entdeckt hätten sie wer weiss was mit ihm machen können. Nochmal dort hinzugehen, um ihm die geschuldete Antwort zu holen, schien ihm zum einen äusserst riskant und zum anderen war ja seine Frau unversehrt Zuhause und er brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen. Er beschloss also, das ganze auf sich ruhen zu lassen und nicht mehr daran zu denken.
Etwa gleichzeitig wachte Auguste auf. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Denn sie war die ganze Zeit von der Angst geplagt gewesen, dieses unsichtbare Wesen könne zurückkommen und sie verzaubern. Deshalb vergewisserte sie sich auch, dass sie keine unheimlichen Geräusche hörte, bevor sie aufstand. Dann eilte sie zu ihrem Opa und sie beschlossen, dass sie wegen dem unsichtbaren Wesen vorläufig nichts machen konnten, da sie absolut keinen Verständigungsschlüssel hatten. Sie wollten aber nicht untätig herumsitzen, sondern wollten versuchen, sich irgendwie mit den Trollen zu verständigen. Da Auguste zur Schule musste, hatten sie nicht viel Zeit, Pläne auszuhecken, aber der Opa versprach ihr, dass er sich während des ganzen Vormittages Gedanken machen würde.
Auguste konnte sich während der Schule nicht konzentrieren. Die ganze Zeit schielte sie zur grossen Wanduhr, deren Zeiger sich langsam in Richtung 1.00 Uhr vorschob. Dann würde der Unterricht endlich fertig sein. Doch für Auguste verging die Zeit viel zu langsam. Der Lehrer erzählte mit ernster Miene etwas und stellte auch Fragen an die Schüler. Um was es ging hatte Auguste allerdings nicht mitbekommen, da ihre Gedanken ganz wo anders waren. Kaum klingelte die Schulglocke, war sie auch schon aufgesprungen, hatte ihre Sachen gepackt und rauschte mit fliegenden Zöpfen aus dem Klassenzimmer.
Vor dem Haus des Lehrers wartete bereits der Opa auf sie, der sich wie versprochen den ganzen Morgen gedanken gemacht hatte. Er war ausserdem ins nächst grössere Nachbardorf geritten, wo es eine Bibliothek gab, und hatte dort geschaut, ob er ein Buch über Trollsprache finden konnte. Doch leider waren alle seine Bemühungen erfolglos gewesen. Um Auguste nicht zu enttäuschen, tat er jedoch so, als ob er einen Plan habe. Gemeinsam gingen sie wieder ins Wäldchen und er benahm sich geheimnisvoll. Auguste vertraute ihm voll und ganz und hörte auf, ihn auszufragen, nachdem der Opa ihr versichert hatte, dass sie schon sehen werde.
Doch da der Opa auch nicht recht wusste, was sie machen sollten, beschloss er, dass sie sich zusammen in der Nähe des Häuschens verstecken sollten und die Trolle einfach nur beobachten würden. Vielleicht würden sie so eine Möglichkeit finden, sich mit ihnen zu verständigen. Er hatte sicherheitshalber sein Jagdtfernglas mitgenommen. Damit konnte man auch aus grosser Entfernung genau sehen, was sich vor dem Häuschen und auch zum Teil hinter den Fenstern abspielte. Auguste war vom Plan ihres Opas begeistert. Sie schlug vor, dass sie doch am besten auf einen Baum klettern sollten, von dem sie ganz unbemerkt alles wahrnehmen konnten, was um sie herum vorging.
Gesagt, getan. Zwar hatte der Opa etwas Mühe, auf den Baum zu kommen, aber seiner kleinen Enkelin zu Liebe strengte er sich tüchtig an und schaffte es bis auf den untersten Ast eines alten Baumes, welcher weit ausladend eine hervoragende Sitzfläche bot. Zuerst sassen sie einfach dort und es geschah nicht wirklich viel. Aber der Opa hatte auch daran gedacht und zum Zeitvertreib ein paar Hasenbrote (belegte Brote mit Käse und Metwurst) mitgebracht. Auf diese stürzte sich Auguste hungrig. Denn seit dem Frühstückessen hatte sie nichts mehr gegessen. Und als die beiden gemütlich am kauen waren, bewegte sich endlich etwas beim Trollhäuschen. Die Trollfrau kam mit einem grossen Topf voller Heidelbeeren aus dem Haus. Diesen hängte sie über eine Feuerstelle und begann die Beeren zusammen mit Wasser aufzukochen. Sie rührte und rührte, bis es einen schönen Brei gab. Dann liess sie das Feuer ausgehen und setzte sich in die Sonne. Etwa eine halbe Stunde später kam das Trollmännchen nach Hause. Es schleppte einen grossen, vollgestopften Rucksack. Die Frau begrüsste ihn stürmisch. "Hei Olaf, kya sheher se lehte hai?" (Hallo Olaf, was hast du aus der Stadt mitgebracht?). Und dann begann Olaf den Rucksack auszupacken. Im Rucksack befanden sich unter anderem eine Kanne Milch und ein Leib Brot. Beides legte er auf das kleine Tischchen vor dem Haus. Asha, seine Frau eilte in das Häuschen und kam mit zwei Suppentellern und Löffeln heraus. In der Zwischenzeit hatte Olaf den Kessel über dem Feuer entdeckt und ebenfalls zum Tisch geschleppt. Zusammen nahmen die beiden ein köstliches Mahl mit Beerenmus, Suppe und Brot ein und schienen sehr zufrieden dabei.
Opa und Auguste konnten nicht verstehen, was die beiden sprachen. Sie hatten aber den Ausruf von Asha gehört, als diese jenen begrüsste. Der Opa hatte sofort alle Wörter aufgeschreiben. Er hatte nun eine Liste, auf der sieben Wörter standen. Nämlich: "HAI, OLAF, KIA, SCHEHER, SSE, LEHTE, HÄ". Da es schon später Nachmittag war, beschlossen Opa und Auguste sich mit ihrer Beute zurückzuziehen. Denn Auguste hatte noch Hausaufgaben und Hofarbeiten zu erledigen und wenn der Opa nicht bald zurückkommen würde, gäbe es womöglich noch unbequeme Fragen.
Während Auguste ihren Pflichten nachging, brühtete der Opa über den sieben Wörtern. Er hatte noch nie eine ähnliche Sprache gehört. Aus der Situation heraus, in der sie die Worte gehört hatten, musste es sich wohl um eine Begrüssung gehandelt haben. Dann war wohl eines der Wörter ein Name, doch welches nur? Er beschloss am nächsten Tag noch einmal zur Bibliothek zu reiten und in einem Namensbuch nachzuschauen. Wenn er Glück hatte, würde sich eines der Wörter als Name erweisen. Stolz über seine gute Idee, suchte er Auguste auf, die gerade dabei war im Hühnerstall aufzuräumen und Eier abzusammeln. Das war eigentlich nicht ihre Aufgabe, aber sie übernahm sie heute von ihrerer Schwester, denn diese hatte ihr gestern beim Abwasch nach dem Nachtessen geholfen. Als sie Opas Einfall hörte, freute sie sich darüber, dass sie so einen klugen Opa hatte. Sie zweifelte jedoch insgeheim daran, dass in einem Namensbuch von Menschen auch Trollnamen zu finden waren. Doch wie sagt man so schön, "die Hoffnung stirbt zuletzt" und da Auguste keine andere Idee hatte, wie sie sich der Sprache der Trolle nähern konnten, hielt sie sich an diesem dünnen Faden der Hoffnung fest. Denn jetzt hatte sie die Trolle schon beinahe vor einer Woche das erste Mal gesehen und sie brannt förmlich darauf, sich endlich mit ihnen zu verständigen.
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1 Kommentar:
Es sieht aus, dass kleine Kinder häufig tapferer als Erwachsener sein können, neue Sachen und Leute kennen zu lernen. - Ich folge sehr gern deiner interessanten Geschichte!
Gruesse,
Juha
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